Kontinuierliche Glukosemessung Herausforderungen und Chancen kontinuierlicher Glukosemessung in Echtzeit in Kliniken
Das Diabetesteam der Scripps Clinic in San Diego gab einen ersten Überblick zur Nutzung der kontinuierlichen Glukosemessung in Echtzeit (rtCGM) im stationären Bereich. Dabei wurde zunächst auf den Bedarf und Sinnhaftigkeit sowie mögliche Barrieren eingegangen. Der weitere Fokus lag darauf, wie rtCGM praktisch in die Krankenhaus-Versorgung implementiert werden kann: Was für Anforderungen durch das medizinische Team zu erfüllen sind, um ein solches Programm im Krankenhaus zu etablieren, und welche Schlüsselfaktoren für dessen Akzeptanz in dieser Umgebung entscheidend sind. Im Weiteren wurden die dazu notwendigen Protokolle und Prozesse erörtert wie Pflegepersonal-Schulungen und dafür nötiges Material, Arbeitsanweisungen (SOP) sowie Glukoseziele im Sinne der Prävention von Hyper- und Hypoglykämien.
Die aktuellen Standards of Care der ADA weisen darauf hin, dass einige Krankenhäuser die Anwendung von rtCGM in speziellen Situationen erlauben und erste Daten einen signifikanten Nutzen für die Glukosekontrolle und Krankenhaus-Verläufe zeigen (Diabetes Care 45; (Suppl. 1) S269, 2023). Vorteile, die genannt werden, sind die Reduktion der Patienten-Exposition des Pflegepersonals, des Verbrauchs von persönlichem Schutzmaterial, der Zeit für die Messungen, der Anzahl der POCT-Messungen sowie von Hyper- und Hypoglykämie-Episoden. Barrieren, die aufgeführt werden, sind die begrenzte Anzahl von Klinik-Mitarbeitern mit Know-how für den rtCGM-Einsatz, die Verfügbarkeit weiterer digitaler Geräte wie Smartphones und die eingeschränkte Zuverlässigkeit des Datentransfers durch örtliche oder bauliche Gegebenheiten. Zudem fehlen derzeit noch Erfahrungswerte, Protokolle und ein einheitliches Vorgehen im Umgang mit der großen Menge anfallender CGM-Glukosewerte.
rtCGM im Krankenhaus: Teamwork
Es bedarf eines ganzen Teams, welches sich in unterschiedlichen Rollen um die Umsetzung der rtCGM-Nutzung kümmert: das Setzen der Sensoren, die dauerhafte Überwachung der erhobenen Daten sowie das Ziehen therapeutischer Konsequenzen daraus. Zudem müssen die anfallenden Daten im Krankenhausinformationssystem hinterlegt werden, damit eine entsprechende Dokumentation erfolgt – nicht zuletzt aus rechtlichen Gründen.
Der Einsatz von rtCGM erfordert somit auch einige neue Kommunikationsprozesse zwischen diabetesversierten und nicht-versierten Mitarbeitern. Damit ist auch eine entsprechende Schulung der in den Behandlungsprozess involvierten Teams notwendig, um eine ausreichende Kompetenz zu erreichen. Es gilt auch sicherzustellen, dass z.B. während eines Nachtdienstes das Personal die Glukosewerte so interpretieren kann, dass die entsprechend geeigneten therapeutischen Schritte eingeleitet werden.
Wichtige Standardprozeduren
Die notwendige Prozesssicherung für die erfolgreiche Nutzung von rtCGM und die damit verbundene Verschriftlichung aller daraus resultierenden Schritte und Prozesse ist wichtig. Es sind z.B. Standardprozeduren zu folgenden Themen festzulegen:
- Welche Kriterien legen fest, dass die Feststellung eines Ausfalls eines Sensors (diese sind mit nicht unerheblichen Kosten verbunden) mit relativ hoher Sicherheit getroffen werden kann und wie soll vorgegangen werden, wenn ein Sensor tatsächlich ausfällt?
- Wann ist eine Validierung der Glukosemessung durch eine konventionelle kapilläre Blutglukosemessung erforderlich (falls eine Kalibrierung bei dem angewandten rtCGM-System überhaupt noch möglich ist)?
- Wie wird die Insulindosis auf Basis der Gewebeglukosewerte angepasst, auch mit Blick auf die jeweilige klinische Situation der Patienten?
- Wie wird im Falle einer Hypoglykämie vorgegangen?
Hier sollte es klare Vorgaben geben, da sich unter Nutzung von rtCGM auch in solchen klassischen Situationen neue Aspekte ergeben. Es kann z.B. geraume Zeit dauern, bis eine intravenöse Glukosegabe zu einer signifikanten Änderung der Glukosekonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit führt, in der der rtCGM-Sensor misst. Somit sind auch klare Regeln in Hinsicht auf die abzuwartende Zeit erfoderlich, nachdem Patienten Glukose verabreicht wurde. Diese „Lagtime“ gilt es, bei der Schulung der Mitarbeiter ausreichend zu erklären, sowie entsprechendes Material zur Verfügung zu stellen (diesbezüglich bieten rtCGM-System-Hersteller in den USA wohl gutes Anschauungsmaterial an).
In einem vergleichbaren Sinne gilt es, das Prozedere festzulegen, wie die Insulintherapie standardisiert adjustiert wird, wenn Glukosewerte über den Zielbereich ansteigen. Wobei dies bedeuten kann, eine Änderung der Infusionsrate eines Insulinperfusors oder Dosisveränderungen des subkutan applizierten Basal- oder Mahlzeiteninsulins vorzugeben. Die hier notwendigen Schritte können relativ komplex werden. Die Referentinnen zeigten ein fast erschreckendes Diagramm, das auf dem ersten Blick nicht dem Ziel der Management-Vereinfachung entspricht. Ob daher in einer akuten Situation im Krankenhaus Zeit bleibt, immer vorgabengerecht vorzugehen, muss je nach Umsetzungsart der SOP wohl bezweifelt werden.
Was tun bei Störfaktoren und technischen Problemen?
Es gilt zudem zu klären, welche diagnostische Verfahren (z.B. MRT-Untersuchungen) einen Einfluss auf die Funktion und vor allem Sicherheit des rtCGM-Systems haben und unter welchen Bedingungen die Nutzung fortgeführt werden kann. Schließlich laufen im Krankenhaus (gerade auf der Intensivstation), u.U. auch mit einem geringen Zeitbudget, diverse Aktivitäten ab, wobei die Güte der Glukosekontrolle dabei nicht immer die höchste Priorität aufweist. Andere Abteilungen im Krankenhaus können hier ganz andere Vorstellungen haben, als internistische/diabetologische.
Da beim Einsatz von rtCGM-Systemen technische Probleme auftreten können, ist es auch ein wichtiger Schritt, festzulegen, wie reagiert wird, wenn Zweifel an den Messwerten auftreten – d.h., ob ein Gegencheck der Gewebeglukose durch eine Labormessung (die auch auf Station mit einem POCT-Gerät erfolgen kann) angezeigt ist. Die Referentinnen gaben eine ausbleibende Änderung der Messwerte einer vom rtCGM-System gemeldeten Hypoglykämie (Glukosewerte < 80 mg/dl) trotz zweifacher Gabe von Glukose als Beispiel an, bei der dann eine Kontrollmessung erfolgen sollte.
Kein „plug and play“
Aus diesen Ausführungen wird auch klar: Der Einsatz von rtCGM-Systemen im Krankenhaus weist erhebliche klinische Vorteile auf, sie sind aber keineswegs „plug-and-play“-Geräte! Damit die Nutzung von rtCGM (auch aus Kostenaspekten) erfolgreich wird, gilt es, die medizinische und die geschäftliche Leitung frühzeitig zu involvieren und zu überzeugen. Für die anderen Abteilungen sollten entsprechende Schulungen angeboten werden. Auch auftretende rechtliche Hürden und Aspekte (gerade in Hinsicht auf Datensicherheit und -schutz) gilt es, adäquat zu handhaben. Insgesamt sind viele Abteilungen (z.B. der Einkauf, die Abrechnungsabteilung, die Logistik) involviert, um rtCGM als Standard im Krankenhaus zu etablieren. Dies macht auch klar, warum es zum Abschluss dieser Präsentation eine recht lebhafte Diskussion gab, bei der aus Zeitgründen nicht alle Aspekte behandelt werden konnten.
Die Präsentationen der Referentinnen beleuchtete ausgesprochen praktisch die erfolgreiche Anwendung von rtCGM im Krankenhaus. Dies zeigte sich beispielsweise in der pragmatischen Lösung der viel diskutierten Validierung der Messgüte des rtCGM-Systems. Das von den Referentinnen praktizierte Vorgehen beinhaltet eine einmal tägliche parallele Messung von POCT-Glukose und einen Vergleich der Werte. Im Falle einer Abweichung von < 20 % bzw. < 20 mg/dl bei Werten unter 100 mg/dl kann der Sensor an diesem Tag zur Glukosemessung verwendet werden.
Im Anschluss fragte das Auditorium u.a. nach der Art der Datenintegration ins Krankenhausinformationssystem, der Risikokonstellation einer rtCGM-Implantation, der Kostenerstattung der Investitionsgüter und dem Umgang mit von zu Hause mitgebrachten Sensoren – und zeigte damit nicht nur die Aktualität des Themas, sondern auch, dass wir uns gerade international mit den gleichen Fragestellungen beschäftigen, die dieser vielversprechende technologische Fortschritt für die Diabetesversorgung im Krankenhaus mit sich bringt.