Lohnen sich CGM-Systeme finanziell?
Wenn über CGM gesprochen wird, stand früher in Deutschland – also vor dem G-BA-Beschluss 2016 – das Thema Kosten im Vordergrund. Nachdem die Kostenübernahme nun geklärt ist, wird der Blick frei auf die Frage, welche Kosten durch den Einsatz von Systemen zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) gespart werden können.
Die Ergebnisse von entsprechenden Modellen werden in dem aktuellen Whitepaper „Advancing Glycemic Management in People with Diabetes“ von der Beratungsfirma IQVIA präsentiert.¹ Dargelegt werden die Limitationen des HbA1c, die Vorteile der Ermittlung des Zeitanteils im Glukosezielbereich (Time in Range [TiR] von 70–180 mg/dl) mit CGM-Systemen und die geschätzten Kosteneinsparungen.
Das Unternehmen berät auch Firmen, die CGM-Systeme herstellen. Die Erstellung des Whitepapers und die dahinterstehenden Berechnungen wurden von der Firma Lilly finanziell unterstützt, die jedoch keine CGM-Systeme herstellt.
Auswirkungen einer besseren Glukosekontrolle
Die zentrale Frage der Publikation lautet: Wenn die Verfügbarkeit der diagnostischen Option CGM zu relevanten Verbesserungen in der Glukosekontrolle führt – gemessen anhand TiR –, was bedeutet dies für die Güte der Glukosekontrolle? Und damit weiter für die Reduktion des Risikos auf diabetesbedingte Folgeerkrankungen und letztendlich auf die Entwicklung der Kosten?
Nach den von IQVIA durchgeführten Modellberechnungen führt eine Verbesserung in der TiR von 58 %
- auf 70 % zu Einsparungen bei der gesamten Diabetespopulation der USA im Bereich von 2 bis 4 Milliarden US-Dollar über 10 Jahre hinweg und
- auf 80 % und eine zusätzliche Reduktion der Hypoglykämien um 40 %, zu Kosteneinsparungen von bis zu 9,7 Milliarden US-Dollar über den gleichen Zeitraum.
Die Basis von 58 % bezieht sich auf Patientendaten aus vier verschiedenen CGM-Studien – JDRF (2008), DIAMOND (2017), REPLACE-BG (2017) und HypoDE (2018). Eine TiR von 70 % (das definierte Behandlungsziel des internationalen ATTD-Konsensus) wird allerdings bei einem Großteil der Patienten nur durch den Einsatz von Systemen zur Automatisierten Insulin-Dosierung (AID) zu erreichen sein. Dies zeigen Real-World-Daten von über 119 000 Patienten aus den USA mit dem Hybrid-AID-System MiniMedTM 670G (Medtronic).
Relevanz für Deutschland
- Typ-1-Diabetes: 312 000 Patienten
- Typ-2-Diabetes: 4,7 Millionen Patienten
- undiagnostizierter Typ-2-Diabetes: ca. 2 Millionen Menschen
- zusammengenommen entspricht das 27,58 % der Diabetespopulation in den USA
- bei Anhebung der TiR von 58 % auf 70 %: 1,68 Milliarden Euro über 10 Jahre (pro Jahr 168 Millionen Euro)
- bei Anhebung der TiR von 58 % auf 80 %: 2,43 Milliarden Euro über 10 Jahre (pro Jahr 243 Millionen Euro)
- Typ-1-Diabetes: 1,25 Millionen
- Typ-2-Diabetes: 23,1 Millionen
- undiagnostizierter Typ-2-Diabetes: 7,2 Millionen
Basis der Berechnungen kritisch hinterfragt
Es gibt jedoch auch Kritikpunkte an den Berechnungen:- Der angenommene durchschnittliche TiR-Wert von 58 % als Ausgangswert ist zu hoch. Dies wurde von Patienten erreicht, die in Studien CGM für ihre Therapieunterstützung verwendeten. Es wurde viel Wert auf die Umrechnung von TiR auf den HbA1c gelegt, wobei aber die Korrelation zwischen den beiden Parametern nicht stark ist.
- Schon die Hinzunahme der CGM-Studie GOLD würde durch den ermittelten TiR-Wert von 42 % (und damit nicht so gut eingestellten Patienten) den Mittelwert der TiR deutlich senken.
- Die Einsparungen wurden konservativ gerechnet, sie dürften in der Realität höher sein.
- Eine getrennte Betrachtung von Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes wäre sinnvoll.
- Der größte Einfluss auf Kosteneinsparungen liegt vermutlich bei Hypoglykämien. Trotz einer Senkung des HbA1c-Werts werden statt 4,1 Ereignissen/Woche nur noch 1,1 Ereignisse/Woche berücksichtigt, was nicht der klinischen Erfahrung entspricht, auch bei Verwendung von CGM-Systemen. Das entspricht nur 37 % im Vergleich zum Komparator mit immerhin 156 Ereignissen pro Patient und Jahr. Bei der PDM-ProValue-Studie wurde eine HbA1c-Senkung beobachtet, ohne Anstieg bei den Hypoglykämien. Nicht differenziert wurde zwischen den Ausprägungen der Hypoglykämien, d.h. wie hoch der Anteil von schweren Hypoglykämien ausfiel und was die finanzieller Auswirkungen waren.
- Bei der Güte der Glukosekontrolle wird eine dauerhafte Einstellung von Patienten auf einem HbA1c-Niveau von 6,5–7,0 % durch die Nutzung von CGM angenommen.
- Es werden keine Details zum verwendeten Kostendatensatz gemacht. Die Einsparungen sind daher als Außenstehender nicht nachvollziehbar.
- Die Kosten der CGM-Nutzung werden nicht berücksichtigt. Es handelt sich also nicht um Nettoeinsparungen. Die Einsparung würde sich reduzieren, wenn die Kosten einer flächendeckenden CGM-Versorgung gegengerechnet würden.
Quelle:
¹ IQVIA-Report 2019. Advancing Glycemic Management in People with Diabetes.