Warum benutzen viele Patienten ihre CGM-Systeme nicht?

Autor: Prof. Dr. Lutz Heinemann

Mangelnde Therapietreue ist neben der Medikamenteneinnahme auch bei Technologieanwendung relevant. Mangelnde Therapietreue ist neben der Medikamenteneinnahme auch bei Technologieanwendung relevant. © NataliiaB. – stock.adobe.com

Wie bei jeder Therapie ist auch die Anwendung von CGM-Systemen nicht selbstverständlich – das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Um das Potenzial der Technologie zu nutzen, sollte verstärkt nach den Ursachen geforscht werden.

Adhärenz ist das Hauptforschungsgebiet von Professor Dr. Gérard Reach aus Paris, Avicenne Hospital und Universität Paris, Paris, der seine Aufmerksamkeit beim diesjährigen ATTD (Advanced Technologies and Treatments for Diabetes)-Kongress auch der Nutzung von Systemen zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) widmete. Er nannte vielfältige Gründe, warum Patienten sich entschließen, eine bestimmte Therapie durchzuführen oder diese zu beenden. Ein wesentlicher Grund ist zum Beispiel das Nicht-Erreichen der persönlichen Ziele. Bei einer Befragung von 533 erwachsenen CGM-Nutzern wurden als weitere Ursachen für die Nicht-Nutzung von CGM genannt:

  • Kosten (55,3 %)
  • unangenehmes Tragen (35,5 %)
  • Ablehnung eines am Körper befestigten Gerätes (27,6 %)

Prof. Reach zog in seinem Vortrag Parallelen zwischen der fehlenden Adhärenz bei CGM-Geräten und der Einnahme von Medikamenten. So kann die Nicht-Einnahme eines Medikaments auf einer absichtlichen, aktiven Entscheidung beruhen, sich nicht an die ärztliche Empfehlung zu halten. Sie kann aber auch unbeabsichtigt oder passiv zustande kommen, wenn Nutzung oder Einnahme schlicht vergessen werden. Letzteres passiert häufiger bei Patienten mit einer geringen Gesundheitskompetenz, die Schwierigkeiten haben, die Bedeutung medizinischer Konzepte zu erfassen.

CGM-Adhärenz ist messbar

Die Einhaltung der Medikamenteneinnahme wird vielfach mit der „Medication Possession Ratio“ quantifiziert – dem Verhältnis der abgegebenen Medikamentenmenge dividiert durch die Anzahl der Tage im Auswertungszeitraum. Dieses Verhältnis verringert sich unabhängig vom untersuchten Medikament nach und nach auf weniger als 80 %. Das Erreichen dieses Schwellenwertes wird als Nicht-Einhaltung definiert. Der Ansatz kann auch genutzt werden, um die „CGM-Adhärenz“ zu beschreiben. Anscheinend halten sich ältere Patienten mehr an ihr Medikamentenregime als Jüngere. Bei der CGM-Nutzung (das CGM-System ist verfügbar und eingeschaltet) ist diese bei Jugendlichen mit 69 % schlechter als bei Kindern oder Erwachsenen mit 72 % bzw. 88 %.

Eine Untersuchung zur Auswirkung des Grades der CGM-Nutzung auf den HbA1c zeigte, dass Verbesserungen nur bei erwachsenen Patienten beobachtet wurden und nicht bei Jugendlichen, die diese Option weniger regelmäßig nutzten. Auch das Interesse an sich scheint relevant zu sein, wie der Vergleich von zwei Patientengruppen ergab. In einer „CGM-Gruppe“ von 120 Jugendlichen, die an der Initiierung von CGM interessiert waren, wiesen Patienten einen niedrigeren HbA1c-Wert auf sowie die Nutzung einer Insulinpumpe und mehr Lebensqualität als die Betroffenen in der „Standardgruppe“ von 238 Jugendlichen, die nicht an der Initiierung von CGM interessiert waren.

Nicht-invasive Optionen bevorzugt

Betrachtet man die Kosten für die Nutzung von CGM-Geräten, dann stellt sich die Frage: Wie kann der „Nutzen“ für ­diese kostenintensive Option verbessert werden? Klar ist, je weniger „invasiv“ ein CGM-System wahrgenommen wird, desto mehr wird es auch genutzt. Das ist ein Grund dafür, warum CGM-Systeme, die keine Kalibration benötigen, so beliebt sind – schmerzhaftes Stechen in den Finger entfällt und man muss sich nicht darum “kümmern“. Dies ist ein wichtiges Argument für implantierbare Glukosesensoren und all die – bisher leider erfolglosen – Versuche, nicht-invasive Glukose-Messtechnologien zu entwickeln. Die erwähnte Befragung ergab, dass Patienten die CGM-Nutzung beenden, wenn ihnen:
  • das Tragen des Systems unangenehm ist (47 %),
  • Hautirritationen auftreten (41 %),
  • die Sensorapplikation schmerzhaft ist (31 %).
Hautirritation und Allergien gegen mit Pumpen und Sensoren verbundene Klebstoffe scheinen ein häufiger Grund für Nicht-Adhärenz zu sein, wobei dies nur mäßig dokumentiert wird. Eine schlechte Messgüte von CGM-Systemen beeinflusst ebenfalls den Nutzungsgrad negativ. Je höher der MARD (Mean Absolute Relative Difference)-Wert eines Systems ist (als ein Parameter zur Beschreibung der Messgüte), desto weniger bleiben Patienten der Therapie treu: Jede Erhöhung der MARD um 1 % führt zu einer Abnahme der Nutzung um 0,35 % (p < 0,001). Patienten trauen oft schlicht den Messergebnissen nicht – und das, obwohl die Messgüte der aktuellen CGM-Systeme deutlich besser ist als die der früheren Gerätegenerationen. Im gleichen Sinne darf allerdings ein CGM-System nicht zu viele Fehlalarme liefern, die dann von Patienten durch konventionelle kapilläre Blutglukosemessungen als solche identifiziert werden: Denn sonst verlieren Patienten recht schnell das Vertrauen in das Gerät.

Nachteile und Probleme in Studien beobachten

CGM-Systeme weisen klare Vorteile auf, ihr Nutzungsgrad wird aber stark von den genannten Problemen bestimmt und Patienten wägen Nutzen und Probleme gegeneinander ab. Bei Studien (die üblicherweise von den Herstellern finanziert werden) liegt der Fokus stärker auf den Vorteilen der CGM-Systeme, zumindest werden Angaben dazu eher in den Pu­blikationen erwähnt. Damit Patienten diese kostenintensive Technologie dauerhaft erfolgreich nutzen, gilt es, den kritischen Faktoren mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Gleichzeitig müssen die Patienten durch entsprechende Schulungen befähigt werden, mit der Technologie kompetent umzugehen und deren Optionen, aber auch Limitationen korrekt einschätzen zu können. Wenn ihnen ein „Time-in-Range“-Konzept nicht geeignet erklärt wird oder sie dieses nicht verstehen können, dann nützt auch die beste Messgüte des CGM-Systems nichts. Im gleichen Sinne stellt auch die Verfügbarkeit eines Systems zur Automatisierten Insulindosierung (AID-Systeme) unmittelbar nicht sicher, dass die Nutzer damit zufrieden sind und dies dauerhaft nutzen, wie aktuelle Berichte aus den USA zu einem dort vielfach verwendeten AID-System nahelegen. Es drängt sich der Wunsch nach guten Untersuchungen auf, die zeigen, wie Patienten in der Realität ihr CGM-System nutzen, aber eben auch, warum sie die Nutzung dieser Option beenden.

Quellen:
ATTD-Kongress 2019
Reach G. et al. ATTD 2019; Session PS15