Was müssen Diabetes-Apps können und dürfen?
Beim diesjährigen Kongress der American Diabetes Association (ADA) war der Schwerpunkt einer sehr gut besuchten Session das Thema Apps, die für Menschen mit Diabetes angeboten werden. Was gibt es hierbei aus Sicht eines Komitees zur Sicherheit von Medizinprodukten der amerikanischen und der europäischen Diabetesgesellschaft zu tun? Eine Expertengruppe, deren Positionspapier in Kürze publiziert werden soll, hat bereits 2015 einen vergleichbaren Kommentar zu Insulinpumpen und 2017 einen Beitrag zu CGM-Systemen publiziert.
Eröffnet wurde die Session von der Leiterin der für Apps zuständigen Abteilung der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA), Dr. Courtney Lias. Sie stellte die verschiedenen Initiativen der FDA in diesem Zusammenhang vor, wobei der Fokus auf einer besseren Geräteintegration – also Interoperabilität – liegt. Hierzu gibt es neue Leitlinien und Standards: Wenn Patienten zum Beispiel eine App nutzen, die konkrete Insulindosen vorschlägt, muss die App zugelassen sein, da sie ein Sicherheitsrisiko darstellt.
Kategorien für Diabetes-Apps | |
---|---|
Kategorie | Beispiele |
Ernährung | Carbs and Cals, CarbControl, Foodily, Healthy, Low Carb Program, Diabetic Diet |
Körperliche Bewegung | My Fitness Pal, Nike+ Running |
Glukosemonitoring | Diabetes Companion, Diabetes in Check, Track 3 |
Insulintitration | Voluntis Insulia®, Sanofi My Dose™ Coach, Glooko Mobile Insulin Dosing System, Amalgam iSage Rx, Hygieia d-Nav® Insulin Guidance Service |
Insulinapplikation | Companion Medical InPen™, Dexcom Clarity®, Medtronic Sugar.IQ™ |
Diabetes- und Gesundheitsapps lassen sich meist einem von fünf Schwerpunktthemen zuordnen.
Die FDA möchte, dass sich Patienten aus einem Baukastensystem diejenigen CGM-Systeme, Insulinpumpen und Algorithmen heraussuchen können, die ihren Bedürfnissen am besten entsprechen. Da die Algorithmen vermutlich als Apps auf den Smartphones der Patienten vorliegen, können Daten mit anderen Systemen ausgetauscht werden.
Dr. Lias wies auf einen aktuellen Sicherheitshinweis der FDA zur Verwendung von nicht zugelassenen Medizinprodukten im Zusammenhang mit selbstgebauten AID-Systemen hin. Hierbei trägt kein Unternehmen die Verantwortung, was bei Apps ebenfalls ein Problem sein kann. Deshalb haben regulatorische Stellen Schwierigkeiten mit nicht zugelassenen Medizinprodukten. Gleichzeitig arbeitet die FDA daran, neue Produkte schneller für den Markt zuzulassen, damit die nachvollziehbaren Bedürfnisse der Patienten abgedeckt werden. Ein Beispiel ist dafür ist das Projekt Tidepool Loop.
Keine Zeit für Apps im Patientengespräch
Professor Dr. Steven V. Edelman, UC San Diego, USA, teilte seinen Blick aus der Arztperspektive auf Diabetes-Apps, der sich in vier Worten zusammenfassen lässt: „Wir haben keine Zeit!“ Er veranschaulichte seine Sicht durch Aufzählung all der Dinge, die ein Arzt bei einer Visite leisten soll. Da bleibt wenig Zeit, mit Patienten über Diabetes-Apps zu sprechen, selbst wenn diese eine oder mehrere Apps in der Zeit zwischen den Visiten nutzen, so der Experte.
Basierend auf den Vorschlägen, die in dem Positionspapier dargelegt werden, schlug Prof. Edelman vor, dass die Anbieter von Apps zusammen mit den Fachgesellschaften:
- Kenntnisse über Apps und ihre Stärken/Schwächen an einer zentralen Stelle zusammenführen,
- die Nutzung von Apps fördern und unterstützen,
- Schulungen und regelmäßige Updates gemäß den in nationalen und internationalen Richtlinien festgelegten Standards anbieten und
- Gesundheitsdaten der Patienten nutzen, um die Qualität der Versorgung und die Gesundheitsergebnisse nachweislich zu verbessern.
Wirksamkeit und Sicherheit von Angeboten schnell prüfen
Das kann kein Diabetologe im realen Praxisalltag leisten. Da die Apps eine verbesserte Motivation von Patienten und bessere Adhärenz zur Therapie bewirken können, was die „Lücke“ zwischen Praxis und klinischen Studien zu schließen hilft, sollten sich alle interessierten Gruppen hieran beteiligen. Idealerweise sollte es nach Ansicht des Experten eine Aufsichtsbehörde geben, die Daten über Apps, deren klinische Wirksamkeit und Sicherheit schnell auswertet und veröffentlicht. Dies ist in den USA das Ziel des „PreCert-Programms“.
Die Organisation der US-Diabetesberater/Innen (American Association of Diabetes Educators, AADE) zielt darauf ab, die verschiedenen zugelassenen Apps aufzulisten. Hier könnte durch die Unterstützung von einschlägig aktiven Unternehmen (wie Livongo®, One Drop, Omada, Onduo, Virta etc.) eine positive Dynamik aufgebaut werden. Aktuell erfährt Prof. Edelman von seinen Patienten, welche Apps neu sind und welche wirklich genutzt werden. Dies sei nicht prinzipiell schlecht – er wird jedoch nur auf die Apps aufmerksam, die von den „Early Adoptern“ verwendet werden. Dabei sind diese nicht unbedingt diejenigen, die von der Masse der Patienten genutzt werden.
Und in Europa?
Kongressbericht: 79th Scientific Sessions der ADA