Wenn „Schäfchenzählen“ nicht reicht Hypnotika und Sedativa sind bei Schlafstörungen oft nicht indiziert
Jede vierte Frau und fast jeder sechste Mann geben an, nahezu täglich Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen oder ein vermehrtes Schlafbedürfnis zu haben, berichtet Dr. Rüdiger Thiesemann von der Internistischen Hausarztpraxis Dr. Thiesemann in Hamburg aus eigener Erfahrung. Für Betroffene, die bereits am Anmeldungstresen ihren Wunsch nach Sedativa oder Hypnotika äußern, bietet sich zunächst der einfach auszuwertende Patienten-Gesundheitsfragebogen PHQ-9 an. Dieser enthält insgesamt neun Fragen, in denen es um Konzentrationsstörungen, Selbstwertgefühl und eben auch um Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen geht.
Vor allem bei Älteren ist grundsätzlich Vorsicht geboten in Bezug auf Sedativa. Denn sie führen in dieser Patientengruppeüberzufällig häufig zu Stürzen und Stürze wiederum zu Frakturen, die eine Krankenhausbehandlung erfordern. Und die Erholung danach kann sich hinziehen.
Dabei haben Schlafmittel vor allem in dieser Altersgruppe eine nur moderate Wirkung – die REM-Schlaf-Phasen, im Schlaflabor gemessen, erhöhen sich um ca. zehn Minuten, zitiert der Hamburger Kollege den Experten Prof. Dr. Helmut Frohnhofen vom Universitätsklinikum Düsseldorf. In der von der Universität Mannheim geführten App FORTA (fit for the aged), die zur Positiv-Negativ-Bewertung von Arzneimitteln bei älteren Menschen dient, finden sich außer Melatonin alle Hypnotika nur mit C (fragwürdig) oder D (vermeiden) bewertet; Melatonin ist bei „normalen“ Schlafstörungen mit B (vorteilhaft) eingestuft.
Doch welche Alternativen gibt es? Dr. Thiesemann empfiehlt, die Betroffenen zunächst über Schlafhygiene aufzuklären. Zu den Empfehlungen gehören u. a. die folgenden:
- keine Genussmittel nach dem Mittag
- höchstens ein kurzer Mittagsschlaf, ansonsten tagsüber keine Schlafpausen
- keine üppigen Abendessen
- regelmäßige Bettgeh- bzw. Aufstehzeiten
Die Deutsche Gesellschaft für Schlafmedizin hat zahlreiche Broschüren zum Thema herausgegeben, die explizit auf ältere Menschen eingehen und Selbsthilfegruppen aufführen. Zudem kann man den Betroffenen konkrete Tipps zur Gestaltung des Abends mitgeben:
- ab halb neun Finger weg vom Fernseher, Handy, Tablet etc.
- Abendrituale einführen
- Distanz zum vergangenen Tag schaffen – ein Spaziergang von ca. 15 Minuten reicht schon
- pro Woche 150 Minuten einer Bewegungsart, wie Yoga oder Tanzen nachgehen
- kein Alkohol, stattdessen einen pflanzlichen Schlaftee trinken
Dr. Thiesemann rät zur klaren Kommunikation. So könnte man erklären, dass man keine Schlafmittel verordne, aber dafür Verhaltensänderungen empfehle. Schon wenige Gespräche reichen aus, so sein Fazit.
Quelle: Thiesemann R. Hamburger Ärzteblatt 2024; 78: 36-37