Mit Chirurgie gegen Adipositas In höheren BMI-Bereichen reichen Willensstärke und Diäten allein nicht aus
Etwa jeder zweite Erwachsene in Deutschland ist übergewichtig und jeder vierte adipös. Entsprechend hoch sind die Aufwendungen des Gesundheitssystems. So belaufen sich die direkten jährlichen Kosten hierzulande auf 29,39 Milliarden Euro. Hinzu kommen indirekte Kosten, zum Beispiel durch Krankheitsausfälle, in Höhe von 33,65 Milliarden Euro. Das Risiko für Komorbiditäten und Folgeerkrankungen wie Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychische Probleme und Beschwerden am Bewegungsapparat steigt mit dem BMI sowie mit dem Zeitraum, über den die Adipositas besteht.
Bei der Therapie sollten zunächst konservative Maßnahmen wie eine verhaltensorientierte Ernährungstherapie und ein individuell angepasstes Bewegungsprogramm im Vordergrund stehen. Doch nicht selten scheitern solche Versuche und es lässt sich auf diesem Weg keine zufriedenstellende Gewichtsreduktion erzielen.
Adipositas ist die Bilanz aus Veranlagung und Lebensstil
Leicht drängt sich der Verdacht auf, dass dies auf einen mangelnden Willen des Patienten zurückzuführen ist. Dies ist jedoch ein Trugschluss, betont Dr. Johannes Sander von der Adipositas Klinik der Schön Klinik Hamburg Eilbek. Adipositas ist meist das Ergebnis aus Veranlagung und einer adipogenen Lebensweise (z.B. Konsum energiedichter Lebensmittel, Schreibtischtätigkeit). Insbesondere bei höherem BMI lässt sich die chronische metabolische Stoffwechselerkrankung nicht durch reine Willensstärke behandeln.
Die konservative Therapie der Adipositas gilt dann als ausgereizt, wenn nach mindestens sechs Monaten umfassender Lebensstilintervention innerhalb der letzten zwei Jahre keine hinreichende Gewichtsreduktion erzielt werden konnte. Bei einem BMI zwischen 35 und 39,9 kg/m2 wird eine Reduktion des Ausgangsgewichts von mehr als 15 % angestrebt, bei einem BMI von über 40 kg/m2 sind es mehr als 20 %.
Ein chirurgischer Eingriff ist angezeigt
- ab einem BMI von 50 kg/m2, wenn besonders schwere Komorbiditäten vorliegen oder die konservative Therapie aussichtslos erscheint,
- ab einem BMI von 40 kg/m2 nach erfolgloser konservativer Behandlung,
- bei einem BMI zwischen 35 und 40 kg/m2 nach erfolglosen konservativen Maßnahmen und dem Vorliegen von Begleiterkrankungen,
- bei vorbestehendem Typ-2-Diabetes, in Abhängigkeit vom Ausmaß des Übergewichts und der glykämischen Kontrolle.
Heutzutage steht eine große Auswahl an adipositaschirurgischen Maßnahmen zur Verfügung. Zu den am häufigsten durchgeführten Operationen zählen Schlauchmagen, Magenbypass und Magenband. Neben den interventionellen Behandlungsmöglichkeiten können endoskopische Verfahren wie Magenballon oder Endosleeve zum Einsatz kommen.
Ein Magenbypass beseitigt bis zu 70 % des Übergewichts
Die Effektivität eines chirurgischen Eingriffs lässt sich am möglichen langfristigen Verlust an Übergewicht (excess weight loss; EWL; bezogen auf einen Referenz-BMI von 25) bemessen. Der zu erwartende EWL liegt nach dem Einsatz eines Magenbands bei 40 %, nach einer Schlauchmagenoperation kann er 40–60 % betragen. Mit einer Magenbypass-Operation lassen sich 60–70 % erzielen.
Selbst wenn sich der Grad der Adipositas nach der OP nicht ändern sollte, können Betroffene von einer Steigerung der Lebensqualität sowie einer Besserung der Komorbiditäten profitieren. So reichen bereits 15 % Gewichtsverlust (30–35 % EWL) aus, um viele Begleiterkrankungen abzuschwächen oder sogar zu heilen.
Betroffene erhoffen sich oft zu viel von einer bariatrischen Operation und sind niedergeschlagen, wenn sie die erwünschten Ziele nicht erreichen, schreibt Dr. Sander. Deshalb ist es wichtig, bereits vor dem Eingriff ein realistisches Erwartungsmanagement zu betreiben. Nach der OP ist es Aufgabe des Arztes, die Patienten im Hinblick auf mögliche Folgen wie Mangel an Vitaminen und Spurenelementen und andere Langzeitkomplikationen zu überwachen. Die Notwendigkeit einer lebenslangen Supplementation sollte bereits im Vorfeld mit den Betroffenen besprochen werden.
Quelle: Sander J. Hamburger Ärzteblatt 2023; 77: 26-28