Klinischer Nutzen auf dem Prüfstand Inwieweit Patientinnen und Patienten von algorithmenbasierten Entscheidungen profitieren

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Lassen sich algorithmenbasierte Entscheidungen jetzt sinnvoll in die medizinische Praxis integrieren? Lassen sich algorithmenbasierte Entscheidungen jetzt sinnvoll in die medizinische Praxis integrieren? © tippapatt - stock.adobe.com

Künstliche Intelligenz kann in der Medizin schon einiges, das ist unbestritten. Doch wie groß ist der Nutzen für Patientinnen und Patienten. Dem ging ein deutsches Forscherteam nach.

Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in verschiedenen Bereichen der Medizin bewährt, wobei manche Systeme bestimmte Aufgaben schon besser erfüllen als entsprechende Expertinnen und Experten. Doch der Einfluss auf patientenrelevante Ergebnisse wie gesundheitsbezogene Lebensqualität oder Mortalität ist bislang nur wenig erforscht. Ein Team um Christoph Wilhelm vom Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Universitätsmedizin Halle hat jetzt den Nutzen und Schaden von KI-basierten algorithmischen Entscheidungsfindungssystemen (algorithmic decision-making, ADM) im Vergleich zur Standardversorgung bewertet.

In seine Analyse schloss das Team 18 randomisierte kontrollierte Studien sowie eine Kohortenstudie aus verschiedenen Fachgebieten wie Psychiatrie, Onkologie und Innere Medizin ein. Die Studienpopulationen umfassten im Median 243 Teilnehmende, davon etwa die Hälfte (50,5 %) weiblich. Das Risiko einer Verzerrung und die Transparenz wurden mit verschiedenen Instrumenten bewertet.

Bei vier Studien stellte man ein geringes Verzerrungsrisiko fest, sieben wiesen gewisse Bedenken auf und bei weiteren sieben beurteilten die Forschenden das Verzerrungsrisiko als hoch oder schwerwiegend. Auch hinsichtlich der Transparenz fanden sie große Unterschiede.

Insgesamt wurde in zwölf der eingeschlossenen Studien (63 %) ein patientenrelevanter Nutzen von ADM-Systemen im Vergleich zur Standardversorgung berichtet. In den Studien mit geringem Verzerrungsrisiko verringerte die Intervention die Verweildauer im Krankenhaus bzw. auf der Intensivstation (10,3 vs. 13,0 Tage bzw. 6,3 vs. 8,4 Tage) signifikant. Und es fand sich eine signifikante Reduktion der Sterblichkeit im Krankenhaus (9,0 vs. 21,3 %) sowie der Depressionssymptome bei nicht komplexen Fällen (45,1 vs. 52,3 %). 

Unerwünschte Ereignisse wurden nur selten erfasst

Hinsichtlich potenzieller Nebenwirkungen standen nur wenig Daten zur Verfügung. So wurden unerwünschte Ereignisse lediglich in acht Studien (42 %) dokumentiert. In keiner davon kam es infolge der Intervention zu einer Zunahme der unerwünschten Ereignisse im Vergleich zur Standardbehandlung.

„Die derzeitige Evidenz zu KI-bezogenen ADM-Systemen bietet nur begrenzte Einblicke in patientenrelevante Ergebnisse“, fasst das Autorenteam zusammen. Die Ergebnisse würden die Notwendigkeit einer strengen Bewertung des klinischen Nutzens, einer verstärkten Einhaltung methodischer Standards und einer ausgewogenen Abwägung von Nutzen und Schaden unterstreichen. Erst dann ließe sich eine sinnvolle Integration in die medizinische Praxis gewährleisten.

Quelle: Wilhelm C et al. Lancet Reg Health Eur 2025; 48: 101145; doi: 10.1016/j.lanepe.2024.101145