Krebsmedizin Künstliche Intelligenz könnte Hämatologie und Onkologie revolutionieren

DGHO 2024 Autor: Dr. Claudia Schöllmann

KI-Entwicklungen bieten großes Potenzial, Diagnosen zu verbessern und personalisierte Therapien in der Onkologie zu fördern. KI-Entwicklungen bieten großes Potenzial, Diagnosen zu verbessern und personalisierte Therapien in der Onkologie zu fördern. © Toowongsa – stock.adobe.com

Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz besitzen ein enormes Potenzial, um medizinische Diagnosen weiter zu präzisieren und Therapien noch stärker zu personalisieren. Gemäß Expert:innen kann gerade die Hämatologie und Medizinische Onkologie auf vielfältige Weise von innovativen KI profitieren.

In seiner Keynote Lecture beleuchtete Prof. Dr. Marcel Salathé von  der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) die Ursprünge und die Grundlagen der KI.1 Er erinnerte daran, dass Künstliche Intelligenz bereits eine lange und anfangs wenig erfolgreiche Geschichte hinter sich habe. Schon in den 1950ern hätten Forschende Enthusiasmus über elektrische Computer und Transistoren gezeigt. Sie seien überzeugt gewesen, dass binnen eines Jahrzehnts Maschinen miteinander kommunizieren, abstrahieren, Konzepte entwickeln, Probleme lösen und sich selbst weiter verbessern. Der „dramatische Überoptimismus zu KI“ bewahrheitete sich laut dem Experten aber nicht. Stattdessen folgte eine jahrzehntelange Periode, in der zwar vielversprechende Ansätze und mathematische Grundlagen entwickelt wurden, aber keine Durchbrüche gelangen.

All das änderte sich gemäß Prof. Salathé erst in den frühen 2010er-Jahren, als „Deep Learning“ in der Bilderkennung ein dem Menschen ähnliches Niveau erreichte. Es kam zu enormen Fortschritten im Machine Learning, bei dem Algorithmen aus Daten lernen und darauf basierend Vorhersagen oder Entscheidungen treffen, und im Deep Learning – einer speziellen Form davon, bei der künstliche neuronale Netze komplexe Muster und Strukturen in großen Datenmengen erkennen.

Letzteres werde zur Verarbeitung von Bild-, Sprach- und Textdaten genutzt. 
Beim bekannten KI-Tool GPT-4 würden heute bereits 1,7 Billionen Parameter berücksichtigt, schilderte der Referent. Die Entwicklung gehe ungebremst weiter – was nicht nur mit hohen Kosten einhergehe, sondern auch eine enorme Verarbeitungsgeschwindigkeit durch moderne Grafikprozessoren (Graphics Processing Units, GPUs) erfordere. „GPUs werden immer mehr zur begrenzten Ressource“, sagte der Epidemiologe. Auf der anderen Seite würden Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) stetig besser, könnten sich zunehmend an frühere Kommunikationen mit ihren Nutzer:innen „erinnern“ und würden zudem kostengünstiger. Durch Einbinden von Audio und Video in die Sprachmodelle dürfe man immer mehr „Multimodalität“ erwarten.

Was LLMs im wissenschaftlichen/medizinischen Bereich leisten können, machte Prof. Salathé an Beispielen deutlich. So sei etwa in der Chemie bereits eine Synthese von Molekülen und deren Produktion ohne jede menschliche Interaktion möglich. LLM-basiertes Natural Language Processing erlaube außerdem, völlig neue Forschungsideen zu generieren, die im Vergleich zum Menschen zwar innovativer, aber momentan noch nicht ausreichend umsetzbar seien. Offen zugängliche LLMs für die klinische Nutzung wie etwa Meditron repräsentierten bereits eine wissenschaftliche Expertise, die Mediziner:innen mit mehrjähriger Berufserfahrung entspreche.

KI in Hämatologie und Onkologie

Auch in der Hämatologie und Onkologie werden die Möglichkeiten der KI zunehmend genutzt, ergänzte Prof. Dr. Jakob Nikolas Kather, Professor für Künstliche Intelligenz in der Medizin an der Technischen Universität Dresden und Vorsitzender des DGHO-Arbeitskreises „Künstliche Intelligenz in der Hämatologie und Onkologie“.2 Das Spektrum reiche dabei von der Früherkennung bis zur individualisierten Therapie. Gerade in der Pathologie und Radiologie würden große Mengen digitaler Daten verwendet, bei deren Auswertung KI extrem nützlich sei. 

Weitere Anwendungsmöglichkeiten sieht Prof. Kather in KI-basierten Biomarkern, die etwa das Ansprechen auf Immuntherapien aus Bilddaten vorhersagen. Zudem könnten Arbeitsabläufe durch KI optimiert werden, z. B. wenn es um die Unterstützung repetitiver Laborarbeiten, zunehmend aber auch um das Schreiben von Arztbriefen gehe. Für das Training der Sprachmodelle würden unter anderem auch die Onkopedia-Leitlinien der DGHO genutzt. Schließlich könne Künstliche Intelligenz auch in der Medikamentenentwicklung eingesetzt werden (etwa zu Vorhersage der Proteinfaltung) und in Form eines Sprachmodells zur Unterstützung des „Clinical Trial Matching“. 

Dass kurz vor dem Kongress die Verleihung der Nobelpreise für Physik und Chemie an zwei Pioniere der KI-Forschung bekannt gegeben wurde, untermauert für den Referenten die enorme Bedeutung dieser Technologie auch für die Medizin. KI eröffne „neue Wege für individualisierte Therapien, die gezielt auf molekulare Mechanismen in Krebszellen abzielen“.

Quellen:
1. Salathé M. DGHO-Jahrestagung 2024; Keynote Lecture „Science in the age of AI“ 
2. Kather JK. DGHO-Jahrestagung 2024; Vortrag im Rahmen der Fachpressekonferenz