Kopfläuse: Sachlicher Umgang statt Hysterie
Kopfläuse verursachen weder spezifische Krankheiten noch übertragen sie in unseren Breiten pathogene Erreger. Die klinische Relevanz der Pedikulose ergibt sich folglich aus der gesellschaftlichen Einstellung, erläutert Professor Dr. Hans-Iko Huppertz stellvertretend für die Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin in Berlin in einer Stellungnahme.
Luftdichtes Verpacken von Kleidern ist unnötig
Obwohl epidemische Verläufe in größeren Populationen wie Schulklassen kaum vorkommen, wird z.B. in Kindertagesstätten regelmäßig „Läusealarm“ ausgerufen – eine für den Experten kontraproduktive Reaktion, die zu aufwendigen, belastenden und unkoordinierten Maßnahmen bei den Betroffenen und in deren Umfeld führt. Hierzu gehören Putz- und Waschaktionen oder das luftdichte Verpacken und Einfrieren von Textilien und Spielzeug. Von solchen Behandlungen außerhalb des behaarten Kopfes rät die Kommission aktiv ab. Denn sie haben keinerlei nachweisbaren Effekt bei der Beendigung einer Pediculosis capitis.
Das liegt an der Biologie der Insekten. Als wirtsspezifischer Ektoparasit ist die Kopflaus in allen Stadien auf den behaarten Kopf angewiesen. Außerhalb dieses Mikroklimas wird ihr Entwicklungszyklus unterbrochen und adulte Tiere sterben ohne Blutmahlzeit innerhalb von Stunden ab. Da die Läuse weder springen noch fliegen können, erfordert die Übertragung einen intensiven Haar-zu-Haar-Kontakt (mindestens 30 Sekunden).
Kopfbedeckungen, Schwimmbadwasser, Bettwäsche und Haarbürsten spielen dagegen praktisch keine Rolle. Gleiches gilt für eher flüchtige Haar-zu-Haar-Kontakte, wie sie in Gemeinschaftseinrichtungen typisch sind.
Ein weiteres Problem irrationaler und polypragmatischer Reaktionen: Betroffenen werden mitunter stigmatisiert, was Sozialisierung und Bildungserfolg von Kindern gefährden kann. Zudem zeigen sich die Experten besorgt über familiäre Belastungen und teils erhebliche Folgekosten, die durch ungezielten Therapeutikaeinsatz und Schul- bzw. Arbeitsplatzfehlzeiten entstehen.
Sensible Eier
- Nur der Nachweis wenigstens einer beweglichen Laus im Haar stellt eine definitive Therapieindikation dar. Man spricht von einer vitalen Infestation (Besiedelung) und nicht von einer Infektion. Alte, nicht mehr schlupffähige Nissen rechtfertigen keine Behandlung, sie können noch Monate nach dem ggf. spontanen Sistieren einer Besiedelung (s. Kasten) nachweisbar sein.
- Im Indexfall ist eine gezielte Diagnostik (systematisches Auskämmen des gesamten nassen Kopfhaares mit Spülung und einem Spezialkamm, von den Wurzeln bis zu den Spitzen) und ggf. die Therapie von Familienmitgliedern und engen Bezugspersonen wie Übernachtungsfreunden indiziert und ausreichend. Von anlassbezogenen Gruppenscreenings z.B. in Klassengemeinschaften hält die Kommission nichts.
- Bei ausreichender Adhärenz kann eine Pedikulose rein durch mechanische Maßnahmen beendet werden. Die Verminderung der auf dem Kopf befindlichen Läuse gelingt am besten, schnell und weitgehend schmerzfrei durch systematisches Auskämmen. Die in Deutschland eingesetzten Mittel scheinen einem nicht-medikamentösen Vorgehen nicht überlegen zu sein.
Entomophobie gibt es auch unter Ärzten
Grundsätzlich fordern die Experten einen sachlicheren Umgang mit der Pediculosis capitis. Offenbar gibt es auch Fachpersonen, die durch negative Empfindungen (Entomophobie) in Aktionismus verfallen. Ärzte, Apotheker und Personal von Gemeinschaftseinrichtungen müssen bei der Aufklärung an einem Strang ziehen und dem Kopflausbefall mit besonnenem (Nicht-)Handeln entgegentreten.Quelle: Huppertz H et al. Monatsschrift Kinderheilkd 2021; 169: 159-166; DOI: 10.1007/s00112-020-00987-9