Herzklappenerkrankungen Leitlinie zu Aortenstenose mit einigen Überraschungen
Interdisziplinarität wird ganz groß geschrieben in der Leitlinie zum Management von Herzklappenerkrankungen, die ESC und EACTS* gemeinsam erarbeitet haben. Professor Dr. Helge Möllmann, St. Johannes Hospital Dortmund, stellte die Details vor. Das Heart Team bekommt künftig eine zentrale Rolle. Therapieplanung soll grundsätzlich interdisziplinär erfolgen, insbesondere bei asymptomatischen und Hochrisiko-Patienten sowie bei Unsicherheiten. Wichtig ist auch die Mitsprache des Betroffenen. „Dass den Patienten mehr Macht über ihre eigene Behandlung eingeräumt wird, war überfällig“, so der Kardiologe.
Zur schweren asymptomatischen Aortenstenose stand in der Vorgängerversion von 2017 kaum ein Wort – es galt als ausgemacht, dass ohne Symptome kein Eingreifen erforderlich sei. Das hat sich geändert. Auch wenn die linksventrikuläre Ejektionsfraktion nur leicht unter 55 % reduziert ist, sollte eine Reparatur der Stenose erwogen werden. „Da steht nicht Operation, sondern Intervention. Es zieht sich durch die ganze Leitlinie, dass nicht strikt festgelegt wird, welches Verfahren zum Einsatz kommt“, betonte Prof. Möllmann.
Die Empfehlung zur frühen Intervention stützt sich auf eine amerikanische Studie, der zufolge selbst eine leichte Einschränkung der Herzfunktion die Lebenserwartung der Patienten signifikant vermindert. Das stellt Kardiologen vor die Frage, ob sie gezielt nach diesen Patienten screenen sollten, denn ohne Symptome werden die meisten erst spät beim Facharzt landen.
Prof. Möllmann verwies in diesem Kontext darauf, dass die Grenze zur schweren Stenose von 1,0 cm2 Klappenöffnungsfläche vor Jahren „aus dem hohlen Bauch“ festgelegt wurde. Dabei ist nicht berücksichtigt, dass zwischen einem sportlichen Zweimetermann und einer 1,55 m großen älteren Frau von 50 kg beträchtliche Unterschiede im Auswurfbedarf bestehen. Die Entscheidung für oder gegen die Klappenreparatur sollte sich am Einzelfall ausrichten und auch unter dem Gesichtspunkt getroffen werden, dem Patienten künftige Komplikationen zu ersparen.
Bei MI erst die konservativen Optionen ausschöpfen
Für Diskussionen dürfte die Klasse-I-Empfehlung sorgen, nach der unter 75-jährige Patienten mit niedrigem Risiko gemäß STS-PROM/EuroScore II (unter 4 %) operativ versorgt werden sollen. Die Altersgrenze von 75 Jahren kollidiert mit der Evidenz aus Studien wie PARTNER 3, in der 60 % der Teilnehmer jünger waren. DGK und DGTHG** empfehlen in ihrem Konsensuspapier von 2020 die OP primär für Patienten bis 70 Jahre. Das optimale Vorgehen bei denjenigen zwischen 70 und 75 Jahren soll den deutschen Fachgesellschaften zufolge im Herzteam diskutiert werden.
Auch für die sekundäre Mitralinsuffizienz (MI) formuliert die Leitlinie eine neue Klasse-I-Empfehlung, nämlich dass eine OP oder Intervention erst dann zu erwägen ist, wenn die konservativen Optionen optimal ausgeschöpft sind – inklusive einer etwaigen CRT***. „Hier sind explizit alle Patienten subsumiert. Dass wie früher Jüngere mit höhergradiger Anämie direkt zum Chirurgen gehen, ohne dass der Kardiologe das mitbekommt, will die Leitlinie verhindern“, so Prof. Möllmann. Insgesamt sind die interventionellen Techniken bei sekundärer Mitralinsuffizienz aufgewertet worden.
Die Empfehlungen zur Trikuspidalklappe „sind für Kardiologen schwer zu verstehen und schwer zu verdauen“, sagte der Kollege. Denn Patienten mit schwerer Klappeninsuffizienz sollen primär operiert werden, obwohl die isolierte Trikuspidalklappenoperation nicht überzeugt hat. Einer kürzlich vorgelegten Langzeitstudie zufolge ist das Überleben nach OP nicht besser als bei optimaler medikamentöser Therapie.
Das therapeutische Dilemma an der Trikuspidalklappe
Signifikante Verbesserung laut Registerdaten
Deutsche Daten weisen ebenfalls eine hohe Krankenhaus-Mortalität von 9–11 % aus. Immerhin bietet die Leitlinie die Transkatheterreparatur als Alternative, wenn auch mit schwacher Empfehlungsstärke und nur für inoperable Patienten, weil bisher keine großen Studien vorliegen. Die Einstufung dürfte sich jedoch ändern, da große Register inzwischen hochsignifikante Verbesserungen von Überleben und Herzinsuffizienzrisiko durch die Intervention zeigen.* European Society of Cardiology, European Association for Cardio-Thoracic Surgery
** Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie
*** kardiale Resynchronisationstherapie
Kongressbericht: DGK Herztage 2021