Testosteronmangel Messwerte plus Symptome richtig interpretieren – gerade bei Adipositas und Diabetes
Patienten mit einem Typ-2-Diabetes (T2D), hohem BMI und Erektionsstörungen haben nicht selten eines gemeinsam: einen zu niedrigen Testosteronspiegel. Doch was ist Ursache, was ist Wirkung? Was war zuerst da: der Hormonmangel oder die Stoffwechselerkrankung?
„Es gibt eine bidirektionale Beziehung zwischen beiden Bereichen – der Testosteronmangel und die Adipositas auf der einen Seite und die Adipositas und der Diabetes auf der anderen Seite“, sagte Prof. Dr. Stephan Petersenn, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) und niedergelassener Endokrinologe und Androloge in der ENDOC Praxis Hamburg. „Wir sehen bei Patienten mit Testosteronmangel, dass der BMI im Verlauf zunimmt, dass Patienten eine Insulinresistenz entwickeln und dass auch die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes häufiger stattfindet.“
Oft stelle man aber auch erst nach der Diagnose einer Adipositas und eines T2D im Zuge einer Messung niedrige Testosteronspiegel fest, so der Facharzt. Diesen engen Zusammenhang in beide Richtungen gelte es aufzuschlüsseln und richtig zu interpretieren.
Diagnose: Hormonspiegel plus Symptomatik!
Doch genau hier liegt oft das Problem: Denn nach Ansicht von Prof. Petersenn genügt es für die Diagnose Testosteronmangel nicht, lediglich den Hormonspiegel im Blut zu bestimmen. Diese Werte müssten in jedem Fall im Zusammenhang mit der Symptomatik bewertet werden. Liege beides vor, also niedrige Testosteronwerte und typische Symptome, falle die Prävalenz zwar deutlich geringer aus (50 bis 59 Jahre: 0,6 %, 60 bis 69 Jahre: 3,2 %, ab 70 Jahren: 5 %), aber dann sei eine Hormonersatztherapie auch wirklich sinnvoll und angezeigt, sagt der Endokrinologe.
Messen: am besten nicht nur einmal, sondern zweimal täglich
Sind die Messwerte überhaupt aussagekräftig genug? Auch hier gibt es einiges zu beachten. So hätten Studien deutlich gemacht, dass eine einmalige Testung im Laufe des Tages oft zu falschen Befunden führte, so Petersenn. Erst eine zweite Messung des Hormonspiegels zeige, dass ein Drittel der vermeintlich unter Testosteronmangel leidenden Patienten eigentlich einen normalen Wert hätten. Der Grund: Das Hormon erreicht morgens seinen Spitzenwert und nimmt im Laufe des Tages und nach dem Essen deutlich ab. Deshalb muss man vor 10 Uhr und nüchtern messen. „Sie sehen eine etwa 24-prozentige Abnahme des Spiegels nachmittags und eine etwa 25-prozentige Abnahme nach der Nahrungsaufnahme.“ Es ist also durchaus sinnvoll, Testosteron zweimal zu messen, um die Diagnose abzusichern.
Symptome eines Hypogonadismus
- abnehmende Libido
- Erektionsstörungen
- fehlende/nachlassende Morgenerektionen
- Spannungsgefühl im Brustbereich
- Gynäkomastie
- abnehmende Sekundärbehaarung
- nachlassende Rasurfrequenz
- Involution der Hoden
- Infertilität
- Hitzewallungen und Schweißausbrüche
- Zeichen einer Osteoporose
Wichtig in Bezug auf Adipositas und Diabetologie sei laut Prof. Petersenn, neben dem Testosteron auch, das Transporteiweiß SHBB zu bestimmen. Erst wenn hier alles auf einen Zusammenhang hindeute, sei eine korrekte Interpretation der Hormonwerte überhaupt möglich.
Drei spezifische Leitsymptome bei Hypogonadismus
Für die Diagnose eines Hypogonadismus als Ursache des Testosterondefizits seien unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Leistungsabnahme nicht ausreichend, so der Experte. Und die biochemische Diagnostik sei durch den altersabhängigen Abfall des Testosteronspiegels von etwa 1 bis 2 % pro Jahr erschwert. Hilfreicher für die Gesamtbewertung seien laut Prof. Petersenn neben einem Hormonmangel die 3 Leitsymptome: nachlassende Libido, Erektionsstörungen und nachlassende Morgenerektion.
Lege man diese Kriterien zugrunden, hätten 25 % der Patienten mit T2D einen Mangel an Testosteron mit kleiner Symptomatik. „Ja, es gibt Handlungsbedarf! Wir sollten sensibel sein für die spezifischen Sym-ptome eines Hypogonadismus (…). Wir sollten dann das Testosteron korrekt messen. Und wenn wir die Diagnose aus der Kombination von Hormonmangel und Symptomen gestellt haben, auch die Substitution einleiten“, rät der Hamburger Endokrinologe. „Das ist wichtig, auch für die Behandlung des Diabetes und der Adipositas, weil man feststellen kann, dass unter dieser Testosteron-Substitution sich sowohl der BMI als auch die Hyperglykämie-Situation bei Diabetes Typ 2 verbessern können.“ Das Ziel der Substitutionstherapie sowohl bei Adipositas als auch bei T2D bestehe allerdings primär in der Verbesserung der spezifischen Symptome und nicht in einer Unterstützung der Gewichtsabnahme oder einer besseren glykämischen Kontrolle.