Funktioneller Hypogonadismus: Mehr Testosteron ohne Substitution
Weitgehend unspezifische Symptome führen die Patienten zu Dr. Google. Dazu zählen u.a. Abnahme von Libido und Potenz, Reizbarkeit, depressive Verstimmung, Müdigkeit und Schlaflosigkeit, Gelenk- und Muskelbeschwerden sowie Hitzewallungen. Online stoßen die Betroffenen auf Scores wie den AMS*-Bogen nach Heinemann zur Erfassung von Testosteronmangelbeschwerden. Und schon ist die Selbstdiagnose gestellt. Dabei können Erkrankungen wie Depression und/oder Adipositas per se mit unspezifischen Symptomen und somit mit einem hohen Score einhergehen, schreibt Professor Dr. Sven Diederich vom Medicover Berlin-Mitte MVZ.
Das Gesamt-Testosteron am Morgen messen
Wird dann in der Praxis tatsächlich ein erniedrigtes Testosteron gemessen, sollte man den Wert eher als Biomarker für das Grundleiden verstehen. Ein klassischer primärer oder sekundärer Hypogonadismus – mit klarer Indikation zur lebenslangen Hormontherapie – besteht nur in maximal 5 % der Fälle. Viel häufiger handelt es sich um eine funktionelle Störung, also einen normogonadotropen Hypogonadismus mit endo- oder exogenen Ursachen (s. Kasten). Allgemein versteht man unter dem Hypogonadismus bei Männern ein Defizit der Hodenfunktion, d.h. eine mangelhafte Testosteronsekretion und/oder eine gestörte Spermienproduktion.
Häufige Ursachen des Hypogonadismus
- funktioneller: Alter, metabolisches Syndrom, Adipositas, chronische Entzündung, Depression, exzessiver Sport, Unterernährung, Niereninsuffizienz
- primärer: Z.n. Hodentrauma/Orchitis/Chemotherapie/Radiatio, Hodentumor, Maldescensus testis, Anorchie, Klinefelter-Syndrom
- sekundärer: zerebrales Trauma/Radiatio, (Z.n.) Hypophysentumor, Hypophysitis, Hyperprolaktinämie, Hämochromatose, Kallmann-Syndrom, Empty-Sella-Syndrom
Viele Kontraindikationen für die Substitution
Ein laborchemisch bestätigter funktioneller Hypogonadismus liefert bei gleichzeitig signifikantem Symptomscore zwar die Indikation zur Testosteronsubstitution, kommt aber letztlich nur in Einzelfällen unter Beachtung der Kontraindikationen in Betracht, schreibt der Kollege. Absolute Kontraindikationen umfassen (Verdacht auf) Prostata- oder Mammakarzinom, Kinderwunsch und kriminelles Sexualverhalten. Zu den relativen gehören:- Sport, bei dem Dopingkontrollen durchgeführt werden
- Herzinsuffizienz NYHA IV
- ausgeprägte Akne
- Gynäkomastie
- benigne Prostatahyperplasie
* Aging Males‘ Symptoms
Quelle: Diederich S. Arzneiverordnung in der Praxis 2021; online first