Soziale Mediziner Möglichkeiten für Fortbildung und Patientenedukation verantwortungsvoll nutzen
Fast 70 % der Erwachsenen nutzen mindestens eine Social-Media-Plattform, mehr als die Hälfte sucht in diesen Kanälen nach Gesundheitsinformationen. Und die Mediziner? Sie sind ebenfalls in den sozialen Medien aktiv, zu 90 % privat und zu fast 70 % auch im beruflichen Alltag. So fasst es ein Positionspapier der American Academy of Neurology (AAN) zusammen. In diesem nahmen Mitglieder der Gesellschaft dazu Stellung, wie soziale Medien die klinische Praxis beeinflussen können.
Soziale Medien haben im Sinne eines Kommunikationswerkzeugs das Netzwerken im professionellen Umfeld deutlich vereinfacht und eröffnen damit auch neue berufliche Entwicklungschancen, heißt es darin. Ausbildung und Forschung profitieren vom barrierefreien Zugang zu vielen Publikationen und Materialien z.B. im Rahmen von Traineeprogrammen. Speziell in der Neurologie gibt es Kanäle mit problembasierten Lernprogrammen oder Falldiskussionen, die das Potenzial haben, den Fortbildungsstand von Ärzten und medizinischem Personal zu verbessern.
Studienteilnehmer lassen sich gut rekrutieren
Gleichzeitig schrecken bisher sowohl die akademische Ausbildung als auch Praxisleitlinien vor der Implementierung der Social-Media-Angebote weitestgehend zurück. Dabei nutzen Forscher zunehmend soziale Medien, um ihre Ideen und Studienkonzepte in professionellen Netzwerken publik zu machen und schneller ein weit gefächertes Feedback zu bekommen. Auch Studienteilnehmer lassen sich über diese Kanäle gut rekrutieren. Dies bietet auf der einen Seite die Chance, ein heterogenes Patientengut zu erreichen, birgt aber auch die Gefahr einer Stichprobenverzerrung durch das Nutzerprofil populärer Kanäle.
Dass Gesundheitsinformationen für Nutzer im Internet und über soziale Medien breit verfügbar und frei zugänglich sind, bringt für die Ärzte auch die verantwortungsvolle Aufgabe mit sich, Patienten mit zuverlässigen, akkuraten Informationen zu versorgen und so Fehlinformationen vorzugreifen. Dies erscheint insbesondere im Zeitalter der „Fake News“ extrem schwierig, da sich diese erfahrungsgemäß fast zehnmal schneller verbreiten als wahre Informationen. Ähnliches gilt für negative Bewertungen.
Soziale Medien haben das Potenzial, Therapien zu unterstützen, weil sie Zugriff auf neue fachspezifische Informationen ermöglichen z.B. in sog. Tweetorials. Durch den geeigneten Einsatz lässt sich die Gesundheit und das medizinische Wissen der Bevölkerung auf breiterer Front positiv beeinflussen, als dies durch direkte Gespräche möglich ist. Ärzte und Patienten können durch Supportgruppen u.a. auf Facebook das Management chronischer Krankheiten verbessern.
Es ist wichtig, dass Ärzte ihr Know-how in solche Gruppen einfließen lassen, damit dort zum Nutzen der Patienten ein Gegengewicht zu verbreiteten Fehlinformationen gesetzt wird. Gleichzeitig bedeutet der Rückfluss von Erfahrungen der Betroffenen einen direkten Kontakt mit der „Community“.
Doch bei allen Vorteilen, die sich bieten, muss der potenzielle Nutzen von sozialen Medien abgewogen werden. Am wichtigsten bleibt das Prinzip „primum non nocere“: Die Autonomie des Patienten darf nicht beeinträchtigt werden und seine Privatsphäre muss geschützt bleiben. Deshalb sollten Ärzte in sozialen Medien keine identifizierbaren Patienteninformationen posten, weil sich deren Anonymität und Sicherheit in Online-Foren nicht garantieren lässt. Es sei denn, der Betroffene oder sein juristischer Vertreter haben dem schriftlich zugestimmt.
Die Empfehlung an Patienten, soziale Medien zu nutzen, birgt nicht nur das Risiko, dass sie durch Fehlinformationen verwirrt oder fehlgeleitet werden. Suchtgefährdete User könnten auch eine Abhängigkeit entwickeln.
Ärzte sollten Privates und Berufliches bei der Nutzung sozialer Medien immer trennen. Das schließt Inhalte, aber auch das Thema Follower und Freundschaftsanfragen mit ein. Zudem gilt es, die eigenen Posts weiterzuverfolgen, weil falsche und unprofessionelle Reposts, Retweets etc. zurückkommen können, die der eigenen Reputation schaden.
Reale Konsequenzen bei Geldgebern und Chefs
Was man online macht, postet oder auch nur vermeintlich gesagt hat, kann reale Konsequenzen haben, auch bei Geldgebern oder Vorgesetzten. Über soziale Medien wird insgesamt das Bild geformt, das sich die Öffentlichkeit von medizinischem Fachpersonal macht – ob zutreffend oder nicht. In einem Twitter-Hashtag sammelten sich z.B. 40.000 Posts zu negativen Erfahrungen mit Ärzten.
Quelle: Busl KM et al. Neurology 2021; 97: 585-594; DOI: 10.1212/WNL.0000000000012557