Wie soziale Medien abhängig machen
In der digital optimierten Gesellschaft wird quantifiziert – durch Besucherzahlen, Zustimmung, Ablehnung und Grad der Weiterverbreitung in den sozialen Medien sowie durch tracken der eigenen körperlichen Leistung via Apps. Im Projekt „Das vermessene Leben“ untersucht derzeit eine Forscherguppe an den Standorten Frankfurt/Main, Berlin und Jena, welche produktiven und kontraproduktiven Folgen solch eine Vermessung des Selbst hat.
Eine klare Festlegung, ab wann die Nutzung von YouTube, Facebook, Instagram, Twitter usw. oder auch von Partnerbörsen pathologisch wird, kann aus den gewonnenen Daten allerdings nicht resultieren. Die Art der Nutzung muss im Zusammenhang mit dem insgesamt veränderten gesellschaftlichen Verhalten gesehen und darf nicht per se pathologisiert werden, erklärte Micha Schlichting, Soziologe am Siegmund-Freud-Institut in Frankfurt.
Irgendjemand wird immer besser sein als man selbst
Im Zuge der Digitalisierung verbreiten sich Methoden des Messens, Bewertens und Vergleichens rasant. Beständig werden vom Einzelnen neue Anpassungsleistungen gefordert, die (Selbst-)Optimierung erfolgt über Zahlen. Jedem Nutzer von sozialen Medien ist es möglich, sich mit unendlich vielen anderen zu vergleichen – und natürlich wird er immer von irgendjemandem übertroffen werden. Die ständige Präsenz der Zahlen birgt die Gefahr eines instrumentalisierten Verhältnisses zu sich selbst, zu anderen und zum eigenen Körper, warnte Schlichting.
Vor dem Hintergrund der individuellen biographisch-psychologischen Charakteristika kann eine Dynamik entstehen, die zu suchtähnlichem Verhalten führt. Als Beispiele nannte Maike Stenger, Psychologin am Siegmund-Freud-Institut, zwei Muster: Konformität und Entfremdung auf der einen und Affirmation auf der anderen Seite.
Bei mangelnden Likes muss man den Auftritt ändern
Konformität und Entfremdung entstehen, wenn man sich bei der Auswahl der eigenen Posts, also von Bildern, Videos oder Texten, an den „Likes“ orientiert und entsprechend sein Verhalten ändert. Der Nutzer reagiert konform zur Masse. „Wir werden nie satt von solchen Sachen, man ist immer hungrig nach den Likes“, erklärte ein junger Mann im Interview. Bei mangelnden Likes müsse man an seinem eigenen Auftritt etwas ändern.
Seine Wünsche nach Kontakt und Nähe konnten die sozialen Medien aber nicht erfüllen. Nach dem scheinbar kontrollierten Aufbau von Beziehungen, von Ansehen und Akzeptanz kam es zunehmend zu einem Kontrollverlust, berichtete der Proband. Die Verfügbarkeit von unendlich vielen Nachrichten, Bildern, Videos führte bei ihm zu einer passiv-konsumierenden Weltflucht, die einen suchtartigen Charakter annahm. „Man hört nicht auf, in den Känalen zu scrollen.“
Durch Selftracking zum Autonomieverlust
Quelle: Track it! Share it! Like it! – Wenn Selbstvermessung zum (Sucht-)Problem wird (Onlineveranstaltung der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen)