Plötzlicher Kindstod Neues Futter für die Entzündungshypothese

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Die Ursachen für plötzlichen Kindstod sind nur teilweise verstanden. Das Schlafen in Bauchlage gehört jedoch zu den vermeidbaren Risikofaktoren. Die Ursachen für plötzlichen Kindstod sind nur teilweise verstanden. Das Schlafen in Bauchlage gehört jedoch zu den vermeidbaren Risikofaktoren. © globalmoments - stock.adobe.com

Wissenschaftler glauben, eine mögliche Ursache für den plötzlichen Kindstod gefunden zu haben. Zumindest ein Teil der Fälle könnte auf Infektionen zurückgehen, etwa mit humanen Parechoviren.

Ihren vermeintlich gesunden Säugling morgens tot aufzufinden, ist für Eltern einer der schwersten denkbaren Schicksalsschläge. Auf die Frage „Warum?“ kann ihnen bislang niemand eine klare Antwort liefern. Die Triple-Risk-Hypothese unterstellt, dass die Pathogenese des plötzlichen Kindstods (sudden infant death syndrome; SIDS) von drei Risikofaktoren geprägt ist: einer pathophysiologischen Prädisposition, einer kritischen Entwicklungsphase im ersten Lebensjahr und einem exogenen Stressor.

Eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Prashanth Ramachandran von der University of California San Francisco ist der Frage nachgegangen, welche Rolle infektionsbedingte Veränderungen im Hirnstamm dabei spielen könnten. Im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie untersuchten sie Körperflüssigkeiten (Liquor, Serum) und/oder Gewebeproben (Leber, Gehirn) von 71 Säuglingen, die am plötzlichen Kindstod gestorben waren. In die Kontrollgruppe schlossen sie 20 altersgleiche Säuglinge mit anderen Todesursachen ein.

Bei 64 SIDS-Fällen und 15 Kontrollen bestimmten die Forscher die Spiegel von Neopterin, einem sensitiven, aber nicht spezifischen Marker für zelluläre Immunaktivierung im Liquor. Sechs (9,3 %) der Säuglinge, die an SIDS verstorben waren, wiesen erhöhte Neopterinspiegel auf, was auf eine Neuroinflammation hindeutet.

Im nächsten Schritt begaben sich die Studienautoren auf die Suche nach infektiösen Pathogenen bei den betroffenen Säuglingen. Zu diesem Zweck führten sie eine metagenomische Next-Generation-Sequenzierung an Liquor, Leber- und Hirngewebe durch. Bei einem der sechs Fälle wiesen sie so das humane Parechovirus 3 (HPeV3) in Liquor und Gewebe nach.

Im Rahmen einer Einzelzell-RNA-Sequenzierung an der Medulla des betroffenen Säuglings zeigte sich zudem eine starke Anreicherung von Transkripten für Gene, die eine Rolle bei Entzündungen spielen, während dies bei drei altersgleichen SIDS-Fällen mit normalen Liquor-Neopterin-Spiegeln nicht der Fall war.

Beweis für virusvermittelte medulläre Veränderungen

Darüber hinaus wurden in diesem Einzelfall erhöhte Entzündungsmarker in Serum und Liquor nachgewiesen. Die Autoren schreiben, dass der HPeV3-positive SIDS-Fall einen Beweis für das Prinzip virusvermittelter medullärer Veränderungen darstellt, die zur Pathogenese bei einigen plötzlichen und unerwarteten Todesfällen beitragen könnten. Mit Standardautopsietechniken könnten diese Vorgänge nicht nachgewiesen werden, betonen Prof. Ramachandran und Kollegen.

Quelle: Ramachandran PS et al. JAMA Neurol 2024; DOI: 10.1001/jamaneurol.2023.5387