OP beseitigt Doppelbilder nach beidseitigem Abduzensriss
Eine 45-jährige Frau erlitt bei einem Fahrradunfall ein schweres Mittelgesichtstrauma plus Subduralhämatom im Interhemisphärenspalt sowie eine Subarachnoidalblutung. Die Schwellung des Mittelgesichts drohte die Atemwege zu verlegen, dazu kam eine Lungenkontusion. Die Unfallpatientin musste daher mehrere Tage intensivmedizinisch behandelt werden, berichtet Professor Dr. Paul Kremer von der Abteilung für Neurochirurgie an der Asklepios Klinik Nord in Heidelberg.
Die Neurochirurgen konnten ihren Augen kaum glauben
Bereits während der Entwöhnung von der Beatmung fiel den Behandlern bei der Patientin eine Schielstellung beider Augen im Sinne einer Adduktion auf. Im Magnetresonanztomographen sah es nach einem Abriss beider Abduzensnerven vor dem Eintritt in den sogenannten Dorellokanal aus. Dieser umschließt den Nerv vor seinem Durchtritt durch den Sinus cavernosus. Prof. Kremer und sein Team begegneten dieser radiologischen Diagnose initial mit Skepsis, denn dabei handelt es sich um eine echte Rarität. Gemeinsam mit den Ophthalmologen behandelten sie die Frau deshalb zunächst konservativ mittels monokularer Okklusion und Prismengläsern.
Die beidseitige Abduzensparese besserte sich jedoch nicht. Eine erneute MRT-Untersuchung untermauerte nach drei Monaten dann den beidseitigen Nervenabriss. Infolge der dauerhaften Minderinnervation wiesen die lateralen Augenmuskeln bereits starke Atrophiezeichen auf. Da eine Spontanregeneration auszuschließen war und angesichts der anatomischen Situation keine Möglichkeit einer neurochirurgischen Nervenrekonstruktion bestand, unterzog man die Patientin einer Transpositionsoperation.
Dreidimensionales Sehen wiederhergestellt
Der Eingriff verlief erfolgreich: Die Patientin kann wieder dreidimensional und ohne Doppelbilder sehen. Die verminderte horizontale Bulbusmotilität gleicht sie durch Kopfbewegungen aus. Lediglich beim Blick in die Ferne bestehen noch Doppelbilder – eine weitere geplante Operation soll dies beheben. Ihren Beruf als OP-Schwester übt die Frau wieder aus.
Andere Augenmuskelnerven wie der N. oculomotorius und der N. trochlearis können ebenso wie der N. olfactorius, N. opticus oder der N. facialis durch Schädeltraumata geschädigt werden, führt Prof. Kremer abschließend aus. Im Falle minder schwerer Läsionen, beispielsweise Dehnungs- oder Druckschäden ohne Kontinuitätsunterbrechung, stehen die Chancen auf eine Spontanerholung des betroffenen Nerven gut. Bei einem Abriss der Nervenfasern ist die Prognose dagegen schlecht.
Quelle: Kremer P. Hamburger Ärzteblatt 2020; 74: 34-35; © Hamburger Ärzteverlag, Hamburg