Pneumonie: „Fällt dem Pneumologen nichts mehr ein, gibt er Kortison“
Schwere Pneumonien können sich in zwei Richtungen entwickeln: zur Bakteriämie und Sepsis oder zur ausgeprägten Organschädigung bis hin zum akuten respiratorischen Versagen. Dabei schließt das eine das andere nicht aus. Innerhalb ein und derselben Bakterienspezies bestehen beträchtliche Unterschiede, erklärte Professor Dr. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover. Bei den Pneumokokken beispielsweise verursacht Serotyp 3 kaum Lungenschäden, verhält sich aber aggressiv invasiv. Bei Serotyp 19 ist es genau umgekehrt.
Die antibiotische Therapie erfolgt ebenso wie bei ambulant behandelbaren Pneumonien zunächst empirisch. Die deutsche Leitlinie empfiehlt ein Betalaktam plus Makrolid, wobei nicht ganz klar ist, was das Makrolid bewirken soll – atypische Erreger bekämpfen, so vorhanden? Der antibiotischen Wirkung des Betalaktams immunmodulatorische Effekte hinzufügen? hinterfragte Prof. Welte.
Wie auch immer: Spricht der Patient auf die Therapie an, was spätestens nach drei Tagen erkennbar sein sollte, und liegt kein Hinweis auf atypische Keime vor, kann das Makrolid abtreten. Ist keine Besserung in Sicht, muss die Behandlungsstrategie überdacht werden. Bis dahin liegen hoffentlich auch die Ergebnisse von Blutkultur und Resistenztestung vor.
Supportive Therapie ohne klare Evidenz, aber ...
Als Supportivmaßnahmen sind Flüssigkeitszufuhr (30 ml/kgKG in kristalloider Form) bei Hypotonie und/oder einem Laktatwert über 4 mmol/l und die Gabe von Vasopressoren unumstritten. Anzustreben ist ein arterieller Mitteldruck von mindestens 65 mmHg. Zwar konnte die ursprüngliche Studie, die diese Strategie etablierte, nie reproduziert werden. Das liegt nach Aussage von Prof. Welte aber daran, dass sich das Prozedere so schnell durchgesetzt hat. Es wurde quasi unmöglich, eine Studie zu machen, die im Kontrollarm auf Flüssigkeit und Vasopressoren verzichtet hätte.
Die Kortisongabe bei Pneumonie ist in Studien immer wieder untersucht worden, mit inkonsistenten Ergebnissen. Pneumologen nehmen das Thema persönlich, meinte Prof. Welte: „Wenn dem Pneumologen nichts mehr einfällt, gibt er Kortison“, sagte er unter Gelächter des Auditoriums. Bei Pneumonie scheint das aus mehreren Gründen keine gute Idee zu sein, beim akuten Atemnotsyndrom (ARDS) schon gar nicht.
Dem ARDS liegen zu einem hohen Prozentsatz Virusinfektionen zugrunde, vor allem die Influenza. Um Viren abzuwehren, benötigt der Körper Th1-Zellen und Interferon, und Kortison ist einer der stärksten Suppressoren der Th1-Immunantwort überhaupt, erklärte Prof. Welte. Deshalb kann Kortison den Verlauf schwerer Virusinfektionen dramatisch verschlimmern.
Es wird außerdem wohl Zeit, sich vom Kortison bei Pneumonie zu verabschieden. Die meisten Studien haben allenfalls bei weichen Endpunkten wie Verweildauer auf der Intensivstation oder klinischen Scores einen Effekt von Steroiden gezeigt, die sich stark auf den Fieberverlauf stützen. Aber: „Nichts senkt Fieber so effektiv wie Kortison.“
Aufwind bei den Immunglobulinen
Nicht alle Studien sind übrigens pro Kortison ausgegangen – manche fanden auch deletäre Wirkungen. Summa summarum bleibt, dass es keine solide Evidenz für Kortison bei der schweren Pneumonie gibt. Subgruppen könnten vielleicht profitieren, zum Beispiel Patienten, bei denen sich die Pneumonie auf eine vorbestehende COPD aufgesetzt hat, oder jene mit sehr starker Immunresponse.
Für Aufwind bei den Immunglobulinen hat Prof. Welte selbst mit einer Phase-II-Studie gesorgt.1 Eigentlich galten sie ja als obsolet, aber das lag möglicherweise daran, dass bisher immer nur reine IgG-Präparate getestet worden sind. In der aktuellen Studie benutzte man ein IgM-angereichertes Präparat namens Trimodulin.
Phase-III-Studie für die IgM-Therapie in Sicht
IgM besitzt eine größere Struktur und mehr Bindungskapazität als IgG. Es moduliert die Immunreaktion, indem es sowohl überschießende Zytokinfreisetzung und Komplementaktivierung hemmt als auch die „Immunparalyse“ lockert, welche die Pathogenbekämpfung hindert. Außerdem kann es bakterielle Toxine direkt binden.
In der CIGMA genannten Studie bekamen 81 beatmete Patienten mit schwerer ambulant erworbener Pneumonie Trimodulin, 79 erhielten Placebo. Beim primären Endpunkt, den beatmungsfreien Tagen, schnitt die Trimodulingruppe numerisch, aber nicht signifikant besser ab (plus 1,4 Tage). Was aufmerken lässt, ist die Reduktion von Gesamt- und pneumoniespezifischer Mortalität um absolut 5,6 respektive 6,5 %. Besonders profitieren offensichtlich Patienten mit hohen Entzündungsparametern und niedrigem IgM.
CIGMA war weder darauf angelegt noch groß genug, um Mortalitätssenkung stringent nachzuweisen. Die Ergebnisse beeindruckten aber die US-Arzneimittelbehörde so, dass sie ihr Plazet für eine Phase-III-Studie gab. Die startet im Oktober.
Quellen:
60. Kongress der DGP*
1. Welte T et al. Intensive Care Medicine 2018; 44: 438-448
* Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin