„Das ist aus unserer Sicht relativ wenig“ Postoperativer Langzeitgebrauch von Opioiden ist hierzulande selten

Schmerzkongress 2024 Autor: Birgit Maronde

Wie sieht der postoperative Langzeitgebrauch von Opioiden hierzulande aus? Wie sieht der postoperative Langzeitgebrauch von Opioiden hierzulande aus? © Dmitrijs – stock.adobe.com

Schwappt die US-amerikanische Opioidepidemie nach Deutschland über? In den Medien wurde ein derartiges Horrorszeniario wiederholt skizziert. Tatsächlich sind die Verhältnisse in den beiden Ländern nicht vergleichbar, wie aktuelle Daten zeigen.

Es waren keine illegalen Drogen, sondern ärztlich verschriebene Medikamente, die die Opioid­krise in den USA auslösten. Patienten bekamen über längere Zeit eine Schmerztherapie mit Fentanyl, Oxycodon etc. und rutschten dadurch in eine Abhängigkeit. Als die Medikamente nicht mehr rezeptiert wurden, stiegen viele Süchtige in ihrer Not auf illegale Drogen um und landeten in der Abwärtsspirale, skizzierte Prof. Dr. Ulrike­ Stamer­ vom Inselspital Bern die Situation. Als Ursachen dieser fatalen Entwicklung führte die Kollegin neben der Verschreibungspraxis der Ärzte u. a. auch Fehlinformationen über die Harmlosigkeit bestimmter Opio­ide an.

Ein systematischer Review von 46 Publikationen beschäftigte sich 2019 mit der Frage, wie viele US-Patienten nach Arthroplastie, Thorax-, Bauch- und Wirbelsäuleneingriffen sowie nach einer Mastektomie längerfristig starke Analgetika erhalten. Dabei schwankte die Definition von längerfristig in den Arbeiten zwischen 90 Tagen und einem Jahr. In der Gruppe der präoperativ Opioid­naiven zeigten 6 % einen persistierenden Gebrauch. Nach abdominalpelvinen OPs waren es z. B. 10 %. Hatten Patienten bereits vor dem Eingriff Opioide erhalten, erreichte die Rate bis zu 75 %.

Daten aus elf US-Kliniken und einem niederländischen Krankenhaus flossen in eine Analyse von 2023 ein. Jeder fünfte von 680 postoperativ Befragten hatte bereits vor dem Eingriff Opiode erhalten. Drei Monate danach standen 14 % unter diesen Medikamenten, 4 % waren neu darauf eingestellt worden. Bei den OPs hatte es sich um offene Thorakotomien, Eingriffe an der Wirbelsäule, Mastektomien, Knie- oder Hüft-TEP gehandelt. Als Risikofaktoren für den persistierenden Opioidgebrauch identifizierte das Autorenteam v. a. die präoperative Therapie mit diesen Substanzen (Odds Ratio 18,6). 

Dass die Situation in Europa eine andere ist, zeigen Daten von 2.326 Patienten aus dem PAIN-OUT-Register. Vor der OP standen 5,5 % unter Opioiden (zur Erinnerung: in den USA 20 %), sechs bzw. zwölf Monate danach waren es 4,4 % bzw. 3,5 %, berichtete Prof. Stamer. Nur 1,1 % derjenigen, die postoperativ erstmals ein Opioid erhalten hatten, nahmen es nach zwölf Monaten immer noch ein. 

Abhängigkeitsgefahr schon im Vorfeld erkennnen

Ein erhöhtes Risiko für einen persistierenden postoperativen Opioidgebrauch besteht bei

  • Frauen
  • Einnahme von Antidepressiva
  • vorbestehender Schmerzmedikation
  • chronischen Schmerzen
  • Missbrauch von Alkohol und/oder Drogen
  • anderer psychischer Komorbidität
  • Vorliegen mehrerer Komorbiditäten

Abrechnungsdaten von rund 236.000 Personen ausgewertet

Zum Opioidgebrauch nach statio­nären Eingriffen in Deutschland stellte Johannes­ Dreiling­ vom Uniklinikum Jena eine retrospektive Kohortenstudie vor. Sie fußt auf BARMER-Abrechnungsdaten von rund 236.000 Erwachsenen ohne Tumoren, die 2018 operiert wurden. 32.684 hatten im Jahr vor der Behandlung mindestens eine Opioidverschreibung erhalten. 

Im ersten Quartal nach der OP bekamen 12,2 % von ihnen mindestens ein Opioidrezept, von den präoperativ opioidnaiven waren es 6,5 %. Die Rate derjenigen mit persistierendem Opiatgebrauch, d. h. mit einer Verordnung sowohl im ersten als auch im zweiten postoperativen Quartal, lag bei 5,8 %. Schaute man nur auf die initial Opioidnaiven, waren es 1,4 %. „Das ist aus unserer Sicht relativ wenig“, erklärte Dreiling. Das größte Risiko, neu auf Opiode eingestellt zu werden, bestand nach Oberschenkel- bzw. Unterschenkelamputationen (21,7 % bzw. 15,3 %), Schulterteilgelenkersatz (8,0 %), Wirbelsäulenoperationen (6,7 %) und Revision eines Kniegelenkersatzes (5,3 %).

Quellen:
1. Dreiling J et al. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 757-763; doi: 10.3238/arztebl.m2024.0200
Deutscher Schmerzkongress 2024