Psychische Traumatisierung: Welchen Patienten hilft eine spezifische Frühintervention?

Autor: Maria Fett

Die Leitlinie empfiehlt die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie. (Agenturfoto) Die Leitlinie empfiehlt die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie. (Agenturfoto) © iStock/Sergei Gnatiuk

Bei symptomatischen akut traumatisierten Patienten stehen verschiedene Interventionen zur Auswahl. Etwas „Handfestes“ bietet jedoch nur die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie.

In den ersten Stunden bis Tagen nach einem traumatischen Ereignis kann eine präventive Frühintervention darüber entscheiden, ob sich akute Belastungsreaktionen manifestieren und ggf. zu einer Traumafolgestörung führen. Zeigen Betroffene schwere dissoziative Symptome, starke Ängste oder Ähnliches, wird es Zeit für spezifische psychotherapeutische Lösungen.

Konfrontation erst imaginär, dann in der Realität

Obwohl verschiedene Interventionen zur Verfügung stehen (siehe Kasten), empfiehlt die S2k-Leitlinie einzig die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie. Diese Einzeltherapie besteht aus mehreren Bausteinen. Der Therapeut gibt einige Grundinfos zum Thema Trauma und Traumatherapie (Psychoedukation). Zudem erklärt und vereinbart er mit dem Patienten notwendige Expositionsübungen. Sie bilden das Herzstück der Behandlung. In der Regel startet man sanft und konfrontiert Betroffene in ihrer Vorstellung mit ihrem Trauma, später wird die Situation im Realen durchgespielt. Einen weiteren essenziellen Baustein bildet die kognitive Umstrukturierung. Darüber hinaus bekommt der Patient Hausaufgaben, in denen die Inhalte der Sitzung vertieft oder zusätzliche Übungen erlernt werden sollen.

Viele Therapien, wenig Evidenz

Abseits der traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie wurden einige Techniken für Traumapatienten entwickelt. Die teilweise noch sehr jungen Verfahren können jedoch bisher kaum mit einer überzeugenden Evidenz aufwarten:
  • internetgestützte Interventionen (ohne und mit therapeutischer Begleitung) mit psychoedukativen Elementen, In-vivo-Expositionen und Techniken zum Stressmanagement
  • EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) scheint eine der vielversprechendsten Frühinterventionen zu sein: Während sich der Patient die traumatische Situation vorstellt, erfolgt eine bilaterale Stimulierung über optische, akustische oder taktile Reize
  • psychodynamische Verfahren sind stabilisierende, ich-stärkende und -stützende Interventionen, die u.a. die Selbstheilung fördern sollen

Unter Umständen fördert ein gezielter Einsatz von Medikamenten die psychotherapeutischen Bemühungen. Psychopharmaka unterstützen die Versuche, akute Symptome wie schwere Angstzustände, Schlafstörungen, psychomotorische Verhaltensweisen etc. zu kontrollieren und damit einer möglichen Chronifizierung entgegenzuwirken. Die Leitlinienautoren betonen jedoch, dass man – sofern keine Suizidalität besteht – mit der Gabe warten und zunächst nicht-medikamentöse Maßnahmen versuchen sollte. Anhand der Datenlage lässt sich nicht zuverlässig sagen, wie effektiv Psychopharmaka bei akuten posttraumatischen Folgestörungen wirken. Forscher haben sich meist auf die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) fokussiert. So auch in Studien zu den Antidepressiva Paroxetin und Sertralin, die in der Leitlinie als Optionen genannt werden. Kritisch sollte man die Indikation von Benzodiazepinen abwägen. Denn ein Präventivschlag gegen Traumafolgestörungen gelingt mit ihnen nicht, urteilen die Experten. Vielmehr können sich unter einer längeren Einnahme Depressionen entwickeln und bestehende PTBS-Symptome verschlechtern.

Morphine scheinen Verletzten auch psychisch zu helfen

Außerdem hemmt ein Dauereinsatz womöglich die zerebrale Informationsverarbeitung. Nur zwei Fälle rechtfertigen einen Gebrauch:
  • Mittel erster Wahl bei Suizidgedanken oder -tendenzen im Zuge einer beginnenden Antidepressivabehandlung
  • massive Schlafprobleme, Angstzustände oder starkes Rückzugsverhalten (Mittel zweiter Wahl, Einnahme max.1 Woche)
Für Antipsychotika existiert zwar ebenfalls keine zuverlässige Evidenz, Einzelfallberichte deuten aber darauf hin, dass sich insbesondere atypische Neuroleptika in der Akutintervention eignen. Im engen Rahmen seiner (Kontra-)Indikation existieren auch positive Daten für Hydrocortison. Morphine scheinen Verletzte vor einer PTBS-Symptomatik zu schützen.

Quellen:
S2k-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“, AWMF-Register-Nr. 051-027, www.awmf.org;
DOI: 10.1002/jts.20007