Über den Wahn reden Psychosebetroffene profitieren von Verhaltenstherapie und metakognitivem Training

Autor: Dr. Joachim Retzbach

Gegen Wahnvorstellungen helfen nur Medikamente – oder? Gegen Wahnvorstellungen helfen nur Medikamente – oder? © DavisShared - stock.adobe.com

Empirische Studien haben gezeigt: Eine Psychotherapie kann die Pharmakotherapie bei Schizophrenie wirkungsvoll ergänzen. Leitlinien empfehlen vor allem die kognitive Verhaltenstherapie und Psychoedukation. Auch innovative Ansätze wie die Behandlung mit Avataren kommen zum Einsatz.

Gegen Wahnvorstellungen helfen nur Medikamente – oder? Tatsächlich ist eine ergänzende Psychotherapie bei Schizophrenie sinnvoll, wird allerdings nur selten eingesetzt. Zwei Experten erklären, welche Methoden sich eignen und warum eine frühzeitige Intervention wichtig ist.

Dass auch bei Schizophrenie eine psychotherapeutische Zusatzbehandlung mittlerweile in der Leitlinie steht, sei „eine Erfolgsgeschichte der empirischen Psychotherapieforschung“, sagte Prof. Dr. ­Stefan ­Klingberg, Universität Tübingen. Der häufigste Einwand laute: Wahn sei doch geradezu dadurch definiert, dass die Betroffenen für Gespräche nicht zugänglich sind. Dahinter steht dem Experten zufolge aber eine veraltete Vorstellung von Wahnzuständen. So geht man heute davon aus, dass starke Überzeugungen und wahnhafte Vorstellungen auf einem Kontinuum liegen. Auch die Rigidität des Denkens kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Daher seien einige Menschen mit einer Psychose durchaus für Argumente und Realitätschecks empfänglich, erläuterte Prof. Klingberg.

Seit den 2000er-Jahren gab es eine starke Zunahme an empirischen, kontrollierten und randomisierten Studien zum Thema. Deshalb können nun in der Leitlinie bereits konkrete Interventionen für unterschiedliche Therapieziele empfohlen werden. Die kognitive Verhaltenstherapie eignet sich demnach am besten als begleitende Behandlung bei Positivsymptomen. Ihre Effektivität sei seit einigen Jahren „robust“ durch Metaanalysen abgesichert, so Prof. Klingberg. Zur Rückfallprophylaxe gibt es dagegen vor allem Evidenz für die Wirksamkeit von Psychoedukation und von (z. B. verhaltenstherapeutisch oder systemisch orientierten) Familieninterventionen.

Besonderes Augenmerk lag in den vergangenen Jahren auf dem metakognitiven Training (siehe Kasten). Reviews zufolge scheint sich dieses u. a. auf Wahnzustände, die soziale Kognition, Positivsymptome und die Patientenzufriedenheit günstig auszuwirken. Für den Einsatz psychodynamischer Therapieformen gibt es bislang noch zu wenige empirische Studien, weshalb sich in der Leitlinie nur eine „Kann-Empfehlung“ in Bezug auf die allgemeine Symptomatik findet.

Eine 2024 veröffentlichte Metaanalyse belegt, dass kognitive Verhaltenstherapie oft auch die Symptome von therapieresistenten Patientinnen und Patienten bessert, die nach einer ordnungsgemäß durchgeführten Pharmakotherapie noch Krankheitsmerkmale aufweisen. Selbst „austherapierte“ Betroffene, die bereits Clozapin erhalten, profitieren von einer zusätzlichen Psychotherapie.

Schwieriger sei dagegen die psychotherapeutische Behandlung von Negativsymptomen, erklärte Prof. Klingberg. Die Studienergebnisse dazu sind widersprüchlich. Eine alleinige psychotherapeutische Behandlung– ohne begleitende Pharmakotherapie– könne nach derzeitigem Wissensstand ebenfalls nicht empfohlen werden.

Der therapeutischen Beziehung kommt bei Psychosen ein besonderer Stellenwert zu. Prof. Klingberg vergleicht die Rolle der Therapeutin oder des Therapeuten gerne mit der eines Beifahrers im Auto: Dieser kann Unterstützung anbieten und eine Route vorschlagen– „wo die Fahrt hingehen soll, bestimmt aber die Patientin oder der Patient“.
Wichtig sei außerdem, die Störung nicht zu stigmatisieren. Statt etwa von einer Krankheit könne man von einem „Ausnahmezustand“ sprechen. Einen Verfolgungswahn lasse sich genauso gut als „Bedrohungsgefühl“ bezeichnen. Das macht es den Betroffenen einfacher, sich mit ihrem Zustand auseinanderzusetzen.

Eine neue Behandlungsmethode bei akustischen Halluzinationen ist die Arbeit mit virtuellen Avataren. Diese fußt auf einer zunächst ungewöhnlichen Therapie-Idee, wie Prof. Klingberg erklärte: „Wenn die Betroffenen eine halluzinierte Stimme wie eine soziale Beziehung erleben, die sie belastet– wäre es dann nicht sinnvoll, an dieser Beziehung zu arbeiten?“ Die Patientinnen und Patienten erstellen daher zunächst einen virtuellen Avatar, der zu ihrer gehörten Stimme passt. Mit diesem unterhalten sie sich anschließend. Der Therapeut oder die Therapeutin sitzt im Nebenraum, kann am Computer in die Rolle des Avatars schlüpfen und durch ihn sprechen. Dabei sollen die Erkrankten lernen, gegenüber der Stimme selbstsicherer aufzutreten und Kontrolle zurückzugewinnen, etwa indem sie sich Beschimpfungen und Beleidigungen verbitten. Die Methode reduziert ersten Studien zufolge das Ausmaß des Stimmenhörens sowie die psychische Belastung.

In der Psychotherapierichtlinie gelten psychotische Störungen schon seit 2014 als Indikation für eine Behandlung. Der uneingeschränkte Leistungsanspruch gelte nicht nur für Verhaltenstherapie, sondern auch für tiefenpsychologische und systemische Therapie, so der Referent. Noch gebe es jedoch einen Mangel an ärztlichen sowie psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen, die sich in diesem Bereich weiterbilden und eine ambulante Psychose-Psychotherapie anbieten.

Prof. Dr. Andreas Bechdolf vom Vivantes-Klinikum Am Urban, Berlin, ging auf die Bedeutung der Frühintervention bei einer beginnenden psychotischen Störung ein. Das Problem: Jugendliche und junge Erwachsene haben zwar das höchste Risiko für psychische Erkrankungen, nehmen aber auffällig selten medizinische Hilfe in Anspruch. Nur 13 % der jungen Männer und 31 % der jungen Frauen mit psychischen Störungen würden sich professionelle Unterstützung suchen, so Prof. Bechdolf. Daher brauche es mehr niedrigschwellige Angebote.

Bei Frühsymptomen einer Schizophrenie beträgt das Risiko einer Konversion rund 30 %. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bestehen Belastungen oft schon jahrelang. Wegweisend für ein Prodrom sind abgeschwächte psychotische Symptome, bei denen die Betroffenen z. B. Wahnempfindungen haben, sich aber noch ganz oder teilweise von diesen distanzieren können. Basissymptome umfassen Veränderungen im Denken und der Konzentration.

Auch Risikopatientinnen und -patienten, die letztlich keine voll ausgeprägte Psychose erleben, leiden. Sie weisen häufig Funktionseinschränkungen auf, haben eine geringere Lebensqualität und ein erhöhtes Risiko für Komorbiditäten wie Depression, Angst- und Suchterkrankungen. Daher sei es bei einem erhöhten Psychoserisiko immer sinnvoll und auch leitliniengerecht, eine Psychotherapie anzubieten, erklärte Prof. Bechdolf.

Für die Frühintervention stehen spezielle Behandlungsmanuale zur Verfügung. Der Fokus liegt zunächst darauf, Vertrauen aufzubauen, Orientierung zu schaffen und an der Therapiemotivation zu arbeiten. Aber auch die Identitätsentwicklung sollte bei jungen Patientinnen und Patienten nicht zu kurz kommen. Bestehen die Frühsymptome trotz einer Psychotherapie fort, sollen Antipsychotika angeboten werden.

Quelle: DGPPN* Kongress 2024

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie , Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V