Phobien Reale Therapieerfolge mit Virtual Reality

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Bei allen positiven Effekten, die sich mit VR-Technologie erzielen lassen: Infos zu potenziellen Nebenwirkungen und Langzeitdaten fehlen bislang. (Agenturfoto) Bei allen positiven Effekten, die sich mit VR-Technologie erzielen lassen: Infos zu potenziellen Nebenwirkungen und Langzeitdaten fehlen bislang. (Agenturfoto) © AnnaStills – stock.adobe.com

Virtual Reality hat das Potenzial, die Behandlung und die Versorgung von psychisch Erkrankten zu verbessern. Während die Evidenz z.B. für die Therapie spezifischer Phobien bereits gut ist, lässt sie andernorts noch zu wünschen übrig – doch die Entwicklung geht rasant weiter.

Bei dem mittlerweile als klassisch zu bezeichnenden Einsatz der Virtual Reality (VR) zur Expositionstherapie (VRET) von spezifischen Phobien trägt der Patient ein VR-Headset, während der Therapeut die Situationen, in die der Patient eintaucht, am Computer steuert. Wie bei einer echten Expositionstherapie inter­agieren beide miteinander. In Studien zeigte die VRET bei spezifischen Phobien eine Effektstärke, die an die einer realen Exposition heranreicht. Direkte vergleichende Untersuchungen zwischen VR- und In-vivo-Expositionstherapie existieren allerdings nicht.

Wie Dr. Julia Diemer vom Fachbereich Psychosomatische Medizin, kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg am Inn, und Kollegen erinnern, empfiehlt die S3-Leitlinie die VRET bei spezifischen Phobien, wenn eine reale Exposition nicht möglich ist. Zur Behandlung der sozialen Angststörung nennt die Leitlinie, basierend auf schwächerer Evidenz, eine Kann-Empfehlung. Für die Panikstörung oder die Agoraphobie wird derzeit nicht zu einer VRET geraten.

Die Kollegen betonen, dass VR keine Therapieform an sich ist, sondern ein Hilfsmittel, das als Add-on eingesetzt werden sollte. Da virtuelle Expositionen (wenn das System erst einmal steht) weniger aufwändig sind als reale, können sie die Hemmschwelle bei Betroffenen senken sowie häufiger und individuell angepasst in die Behandlung eingebaut werden. Der Nachteil daran ist, dass VR-Systeme nach wie vor teuer sind und der Schulungsaufwand hoch ist. Außerdem wurden fast alle Studien bislang mit Erwachsenen und kaum mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt.

Angesichts der Erfolge bei den Angststörungen wird der Nutzen einer VRET auch bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) diskutiert, schreiben die Autoren. Allerdings ist die Forschung hier noch nicht so weit. Die Mehrheit der bisherigen Untersuchungen wurde mit Kriegsveteranen in Bezug auf Kampfhandlungen durchgeführt. Dabei zeigten sich für einzigartige traumatisierende Erlebnisse ähnliche Effektstärken wie bei anderen Therapien (z.B. „cognitive processing therapy“, In-sensu-Exposition). Nur wenige Untersuchungen beschäftigen sich bislang mit Zivilisten, z.B. nach Raubüberfällen. Ob sich Ergebnisse dann auch auf Traumaformen wie sexuelle Übergriffe oder Vernachlässigung übertragen lassen, ist unklar. Die Heterogenität der Traumata, die es bei PTBS-Patienten zu visualisieren gilt, ist eine Herausforderung, so die Kollegen. Aufgrund der emotionalen Involviertheit der Betroffenen sehen sie jedoch durchaus Potenzial für die Anwendung, insbesondere bei therapieresistenten und chronifizierten Formen.

Automatisierte VR-Therapie zukünftig als Hausaufgabe?

VR-Anwendungen werden permanent weiterentwickelt – mit aktuellem Trend zu mobilen Lösungen. Hier reichen Smartphone plus VR-Brillen-Halterung und Kopfhörer, um in die gewählte Situation einzutauchen. Ohne Interaktion mit Therapeuten spricht man von einer „automatisierten Therapie“. Auch wenn sich dadurch zweifelsohne zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten auftun, warnen Dr. Diemer und ihr Team, dass aktuell weitgehend unklar ist, was die portablen VR-Anwendungen je nach Personen- bzw. Patientengruppe leisten können. Vorstellbar ist ihnen zufolge v.a. die Anwendung als Add-on – und nicht als Ersatz – zum Beispiel für Hausaufgaben zwischen Terminen mit dem Therapeuten.

Dass die VR-Therapie zu einer verbesserten Versorgung von Patienten mit psychischen Erkrankungen beitragen kann, wird vielerorts propagiert. Erste DiGA mit VR-Komponenten, die auf Selbstmanagementinterventionen abzielen, können bereits verschrieben werden. Nach Meinung der Experten gibt es bisher aber nur wenige Informationen zu den möglichen Nebenwirkungen der VR-Technologie. Sie vermuten, dass mehr als die derzeit angegebenen 10 % der Nutzer in der virtuellen ­Realität eine Cybersickness entwickeln. Wie bei allen neuen Therapien fehlen zudem die Langzeitdaten.

Quelle: Diemer J et al. Nervenarzt 2024; 3: 223-228; DOI: 10.1007/s00115-023-01570-9