Statin-Untreue lässt Forscher rätseln

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Die Forscher rätseln: In der Praxis nimmt jeder fünfte Patient sein verschriebenes Statin nicht ein, in Studien sind es deutlich weniger. Die Forscher rätseln: In der Praxis nimmt jeder fünfte Patient sein verschriebenes Statin nicht ein, in Studien sind es deutlich weniger. © iStock.com/benstevens

Allen präventiven Effekten zum Trotz: In der Praxis nimmt jeder fünfte Patient sein verschriebenes Statin nicht ein. In den Zulassungsstudien sind die Abbruchraten jedoch deutlich geringer. Diese Diskrepanz scheint aber nicht an einem verfälschenden Studiendesign zu liegen.

Eine europäische Arbeitsgruppe vermutete, dass die dürftige Statin-Adhärenz mit einem „Run-in-Effekt“ in den Studien (s. Kasten) zu erklären ist. Um dies zu belegen, schauten sich die Forscher 28 randomisierte Doppelblindstudien mit jeweils mehr als 1000 Teilnehmern und einer Behandlungsdauer von mindestens zwei Jahren genauer an.

„Reinrennen“ oder nicht?

Viele randomisierte Studien – auch zur Therapie mit Statinen – setzen vor der eigentlichen Behandlung eine sogenannte „Run-in“-Phase ein. Während dieser Zeit sollen unter anderem Patienten ermittelt werden, die das Prüfpräparat nicht vertragen oder nicht einnehmen wie vorgegeben. Diese werden dann von der Studienteilnahme ausgeschlossen. Dementsprechend könnten die später in der randomisierten Phase festgestellten Nebenwirkungsraten niedriger ausfallen.

Eingeschlossen waren fast 200 000 Patienten, so das Team um Privatdozent Dr. Alexander Vonbank vom Vorarlberg Institute for Vascular Investigation in Feldkirch. Alle Studien verglichen ein Statin entweder mit einer anderen aktiven Substanz oder mit Placebo. Das Design sah in 15 dieser Untersuchungen eine Run-in-Phase vor (allerdings in zwölf davon ohne Statin), 13 Studien hatten gar keine „Einfahrzeit“. Wenn die Vermutung der Forscher zur „Run-in-Phase“ zuträfe, wären theoretisch in Studien ohne eine solche vorgeschaltete Periode häufiger Nebenwirkungen und Therapieabbrüche im aktiven Behandlungsarm zu erwarten. Dem war jedoch nicht so: Bei beiden Designs – mit und ohne Run-in – waren die Adhärenzraten bei Patienten unter den HMG-CoA-Reduktase-Hemmer und unter Placebo ähnlich. Das galt auch, wenn man Studien mit Statinen in der Run-in-Phase mit denen ohne Statin verglich.

Wird der Muskelkater für eine Nebenwirkung gehalten?

Aber woran liegt es dann, wenn Betroffene auf eigene Faust den verschriebenen Cholesterinsenker absetzen? Die Autoren schlagen alternative, jedoch nicht bewiesene Erklärungsmöglichkeiten vor. Beispielweise könnte ein Nocebo-Effekt zum Tragen kommen: Wenn der Arzt seinen Patienten über die Behandlung aufklärt, wird er Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen erwähnen – und schon erwartet sie der Patient, und schon treten sie auf. Zusätzlich findet – zumindest in einer idealen Welt – mit dem Beginn der Einnahme der Lipidsenker auch eine Änderung des Lebensstils statt. So fängt der Patient etwa an zu joggen und übertreibt es vielleicht. Dadurch kommt es zu einem ganz gewöhnlichen Muskelkater – der dann aber den neuen Tabletten angelastet wird.

Quelle: Vonbank A. Eur Heart J Cardiovasc Pharmacother 2018; 4: 230-236