Stimmbänder als Virenschleudern: Wie sich das Coronavirus am schnellsten verbreitet

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Bereits ein eingeatmetes Viruspartikel kann ausreichen, um an COVID-19 zu erkranken. Bereits ein eingeatmetes Viruspartikel kann ausreichen, um an COVID-19 zu erkranken. © Alexander Limbach– stock.adobe.com

Superspreader-Events gibt es nicht nur auf wilden Partys, sondern auch bei sachlichen Gesprächen. In den USA waren zum Beispiel rund 300 000 SARS-CoV-2-­Infektionen auf eine einzige Konferenz zurückzuführen.

Zweifellos werden beim Husten und Niesen massenhaft potenziell virusbelastete Partikel in die Umgebung geschleudert. Doch beides stellt keineswegs die bedeutsamste Quelle für eine SARS-CoV-2-Infektion dar, schreiben Dr. Valentyn­ Stadnytskyi und Kollegen von den National Institutes of Health in Bethesda.

Beim Reden im Innenraum gibt es keinen sicheren Abstand

Die größte Gefahr geht vom Sprechen in geschlossenen Räumen aus – sofern keine Masken getragen werden. Zwar ähneln sich Größe und Anzahl der in die Luft abgegebenen Tröpfchen, doch dauert eine Unterhaltung in der Regel wesentlich länger als ein Hustenstoß.

Das beim Reden freigesetzte Aerosol verharrt minutenlang im Raum und verbreitet sich mit dem Luftstrom – ähnlich wie der Rauch einer Zigarette, den man noch aus einiger Entfernung wahrnehmen kann. Entsprechend lässt sich keine Distanz festlegen, ab der ein maskenfreies Gespräch im Innenraum gefahrlos ist. Bei unzureichender Lüftung kommt es außerdem schnell zu einer Akkumulation der infektiösen Partikel, wodurch sich das Ansteckungsrisiko beträchtlich erhöht.

Auch die beim Atmen exhalierten Tröpfchen bergen Risiken. Ihre Anzahl steigt im Zuge einer Virusinfektion beträchtlich. Das erregerreiche Aerosol kann in Innenräumen lange persistieren und sich erheblich anreichern. Die Halbwertszeit für das Überleben von SARS-CoV-2 liegt in feuchter Luft bei etwa einer Stunde. Schwerkranke COVID-Patienten können in dieser Zeitspanne Tausende, eventuell sogar Millionen Viruspartikel ausatmen. Aufgrund der geringen Tröpfchengröße landen sie direkt in der Lunge von Kontaktpersonen, insbesondere wenn diese nur unzureichend oder gar nicht maskiert sind. Dieser Sachverhalt könnte erklären, warum Mitarbeiter im Gesundheitswesen vergleichsweise häufig eine schwere, mitunter tödliche COVID-19-Erkrankung entwickeln.

Für eine Ansteckung braucht man nur eine erstaunlich geringe Dosis von SARS-CoV-2. Mutationsanalysen haben ergeben, dass die Inhalation eines einzigen Virions genügt, um die Erkrankung auszulösen. Eine große Rolle spielen bei der Transmission sogenannte Superspreader, also einzelne Infizierte, die zahlreiche weitere Fälle verursachen und für einen Großteil der COVID-19-Ausbrüche verantwortlich sind wie bei der Konferenz in den USA.

Bei Massenübertragungen kommen häufig drei Dinge zusammen:

  • eine oder mehrere hochinfektiöse Personen,
  • ein schlecht belüfteter Raum und
  • lautes Sprechen.

Allerdings wurden zahlreiche Fälle aus eher ruhigen Orten wie Kinos und Bibliotheken berichtet. Außerdem kann selbst ein Patient mit moderater Viruslast, z.B. beim Husten, viele andere Menschen anstecken.

Abstand halten hilft nur bedingt: So infizierten sich in einem Fitnesskurs alle zehn Teilnehmer bei ihrem Trainer, obwohl dieser beim Anfeuern rund zwei Meter entfernt stand. Das Singen in Chor und Kirche birgt ebenfalls eine hohe Übertragungsgefahr, selbst auf größere Distanz. Der Grund dafür: die bei der Tonerzeugung vibrierenden Stimmbänder, von denen sich massiv virusbeladene Tröpfchen ablösen. Sie bilden in der Luft ein gefährliches Aerosol, das bis hinunter in die Lunge gelangt. Das größte Risiko ist aber wahrscheinlich lautes Sprechen, z.B. in Restaurants und Bars, die deshalb zu Epizentren vieler Superspreader-Events wurden.

Herkömmliche Masken effektiver als gedacht

Einen hohen, doch weiterhin oft unterschätzten präventiven Stellenwert hat der Mund-Nasen-Schutz. Masken erschweren die Passage virusbelas­teter Tröpfchen nach außen und reduzieren gleichzeitig das Eindringen potenziell riskanter Aerosole. Schon ein einfacher Waschlappen hält mehr als 98 % der beim Sprechen generierten Tröpfchen zurück. Allerdings schließen chirurgische und textile Masken oft nicht dicht genug ab, ein erheblicher Teil der Ausatemluft kann sich dann ungefiltert verbreiten. Die herkömmlichen Masken funktionieren in der Praxis aber tatsächlich besser als es Tests mit trockenen Partikeln vermuten lassen. Denn das Schutzmaterial wird nach kurzer Zeit feucht, sodass die Aerosoltröpfchen beim Durchdringen anschwellen und dadurch teilweise aufgehalten werden.

Quelle: Stadnytskyi V et al. J Intern Med 2021; DOI: 10.1111/joim.13326