Strahlentherapie sicher und effektiv bei Erkrankungen des Bewegungsapparates
Die Radiotherapie von nicht-malignen Erkrankungen hat eine lange Tradition und reicht bis ins späte 19. Jahrhundert, kurz nachdem Wilhelm Conrad Röntgen die nach ihm benannten Strahlen entdeckte. Bis ins 20. Jahrhundert kamen sie noch weitaus häufiger bei gutartigen als bei malignen Erkrankungen zum Einsatz, doch aufgrund der Späteffekte wurde man vorsichtiger. Mittlerweile gilt die Methode als essenzielle Option für die Therapie von Karzinomen, ihren Stellenwert in puncto gutartiger Erkrankungen des muskuloskelettalen Apparates haben Medikamente und Operationen geschmälert. Zu Unrecht, finden die Radiologen Dr. Thomas Schneider von der Radiologischen Allianz und Dr. Karen Schneider, hämatologisch-onkologischer Schwerpunkt, beide aus Hamburg.
So wirken niedrige Strahlendosen
- verbesserte Gewebeperfusion sowie größere Durchlässigkeit der Gefäßendothelien
- Entzündungszellen im Gewebe zerstören, z.B. Lymphozyten
- Anregung von Makrophagen, der Zytokinfreisetzung und von proteolytischen Enzymen
- Schmerzfasern des autonomen vegetativen Nervensystems beeinflussen
- Stoffwechselvorgänge anregen, die eine Azidose des entzündeten Gewebes in eine Alkalose umwandeln
Periarthritis humeroscapularis
Hinter einer schmerzenden Schulter können verschiedene Erkrankungen wie eine Arthritis, Bursitis calcarea oder eine Tendinitis stecken. In der Praxis kommen bevorzugt Kortikoide, Lokalanästhetika, Analgetika und Physiotherapie zum Einsatz. Falls diese nicht den gewünschten Erfolg erzielen, hilft die Radiatio noch immer in bis zu 80 % der Fälle, die Schmerzen zu lindern. Ungünstig wirken sich auf die Prognose Symptome über zwei Jahre aus und das Ausmaß der degenerativen Veränderungen. Zwar berichten 5 % der Behandelten nach der ersten Sitzung über schlimmere Beschwerden. Doch dies gilt als günstiges Prognosezeichen. Den Therapieerfolg sollte man frühestens nach drei Monaten beurteilen. Bestehen zu diesem Zeitpunkt noch Symptome, kann eine weitere Bestrahlung gestartet werden. Nach fünf Jahren berichten laut einer Studie immerhin noch 61 % von einer Linderung der Beschwerden.Epicondylopathia humeri
Sogar nach langer erfolgloser Vorbehandlung lindert die Radiotherapie die chronischen Schmerzen des Tennisarms in acht von zehn Fällen. So verbessert sich auch die Armfunktion langfristig wieder. Rezidive treten mit bis zu 10 % selten auf. Als ungünstige Prognosefaktoren gelten eine Krankheitsdauer von mehr als einem Jahr, viele Vorbehandlungen sowie längere Immobilität. Die Bestrahlung kann ergänzend zu anderen Maßnahmen oder nach einer OP erfolgen.Fasciitis plantaris
In der Regel wird man der entzündlich veränderten Ferse, die sich teilweise mit Fersensporn manifestiert, durch lokale Injektionen mit Kortikosteroiden/Anästhetika, systemischen Antiphlogistika/Analgetika sowie physikalischen Maßnahmen Herr. Selten ist eine OP indiziert. Eine Low-Dose-Radiotherapie lässt in 70 % die Beschwerden verschwinden. Die Erfolgschancen sinken jedoch nach sechs Monaten bestehender Schmerzen.Arthrosis deformans
Dieses Krankheitsbild umfasst die degenerativen und entzündlichen Prozesse von Om-, Rhiz-, Gon- und Koxarthrose. Seit den 1960ern sind (nicht-)steroidale Antiphlogistika das Mittel der Wahl, sie bergen jedoch das Risiko für Gewebenekrosen und gastrointestinale Ulzera. Eine hochgradige Arthrose erfordert eine OP, während der das betroffene Gelenk ersetzt wird. Die Hamburger Kollegen bieten die Radiotherapie internistischen Risikopatienten an oder Kranken, die sich gegen einen invasiven Eingriff aussprechen. Bei 75 % erreicht die Bestrahlung eine anhaltende Symptomfreiheit. Als ungünstig erweisen sich u.a. diffuse Schmerzen, Beschwerden über zwei Jahre, Gelenkdeformitäten, ausgeprägte radiologische Befunde oder ein Alter über 80 Jahre. Als günstig gilt eine idiopathische Genese.Achillodynie
In einer Studie erzielte die Radiatio mit sechs Fraktionen à 0,5 bzw. 1 Gy über drei Wochen langfristige Ansprechraten von 84–95 %. Zwischen den unterschiedlichen Strahlendosen traten keine relevanten Unterschiede auf. Die Radiologen sehen demnach die Low-Dose-Therapie als „sehr wirksame Behandlung“ an und empfehlen 0,5 Gy.M. Dupuytren und M. Ledderhose
Eine S2-Leitlinie stuft die Bestrahlung als etablierte und effektive Option für hyperproliferative Erkrankungen ein. In Frühstadien wirkt sie prophylaktisch bei gleichzeitig akzeptablen Akut- und Spätfolgen, schreiben die Radiologen. Sie raten dazu, sie innerhalb der ersten zwei Jahre einzusetzen. Dadurch lässt sich bei bis zu 90 % eine Progression bzw. eine Operation umgehen. In bis zu 30 % kommt es zu einer Remission der Knoten und Stränge, die in klinischen Studien über fünf Jahre anhielt.Überschaubare Nebenwirkungen
Weitere Indikationen
Bei Hämangiomen kommt die Strahlentherapie meist in Einzeldosen von 2 Gy mit einer mittleren Gesamtdosis von 30–40 Gy zum Einsatz, was keinesfalls einer klassischen Niedrigdosis entspricht. Für rezidivierende oder inoperable aneurysmale Knochenzysten bietet sie mit 26–30 Gy eine Option. Bei heterotroper Ossifikation können zur Prophylaxe bei über 50-Jährigen statt NSAR verschiedene Bestrahlungsschemata genutzt werden: präoperativ oder postoperativ einmalig bzw. mehrfach. Erzielt eine einzelne Variante nicht ausreichend Effekte, lassen sich für Hochrisikopatienten Radiatio und NSAR kombinieren. Für das Patellaspitzensyndrom liegt hingegen keine Evidenz vor, die Hamburger Kollegen haben laut eigenen Erfahrungen bislang nur moderate Effekte erzielt.Quelle Text und Abb.: Schneider T, Schneider K. internistische praxis 2019; 61: 284-300 © Mediengruppe Oberfranken - Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach