Krebspatienten Symptomlast oft unterschätzt?

DGHO 2021 Autor: Birgit-Kristin Pohlmann

Mindestens drei relevante Symptome wurden von den Patienten deutlich gravierender eingeschätzt als vom palliativen Pflegepersonal. Mindestens drei relevante Symptome wurden von den Patienten deutlich gravierender eingeschätzt als vom palliativen Pflegepersonal. © iStock/designer491

Im Vergleich zur Beurteilung durch eine palliative Pflegekraft empfanden Krebspatienten u.a. ihr Allgemeinbefinden als schlechter und ihre Schmerzen als schwerer. Das ergab eine retrospektive Kohortenstudie aus Essen.

Die regelmäßige Symptomerfassung mittels „Patient reported Outcome Measures“ (PROMs) verbessere die Lebensqualität und sogar das Gesamtüberleben von Krebspatienten, erinnerte ­Sandy ­Müller, Westdeutsches Tumorzentrum Essen. Deshalb werde die patientenzentrierte Einschätzung in der S3-Leitlinie zur Palliativmedizin empfohlen. Tatsächlich erfolge die Symptomerfassung in der Palliativversorgung jedoch meist durch das Pflegepersonal, so Müller.

Vor diesem Hintergrund verglich die Referentin retrospektiv die Intensität der mittels Eigen- und Fremd­erfassung beurteilten Symptomlast in zwei Kohorten. Eingeschlossen wurden 281 Erwachsene mit histologisch bestätigten malignen soliden Tumoren (Kohorte 1). Alle Teilnehmer kamen zur Erstvorstellung in die palliativmedizinische Sprechstunde des Westdeutschen Tumorzentrums, wo die tumorbedingten Beschwerden durch eine ausgebildete Palliativpflegekraft, sog. Palliative Care Nurse, beurteilt wurden. Zusätzlich hatten 109 der Patienten im vorherigen halben Jahr den gleichen Fragebogen selbst im Rahmen einer onkologischen Sprechstunde ausgefüllt (Kohorte 2). Die Erfassung der Symptome erfolgte mit dem MIDOS2*, einem validierten Fragebogen für Patienten in der Palliativmedizin.

Die Kohorten im Vergleich

Am häufigsten hatten die Teilnehmer beider Gruppen gastrointestinale Tumoren mit je 26 %. An Lungenkrebs litten 20 % in Kohorte 1 vs. 19 % in Kohorte 2, an Mammakarzinomen waren jeweils 18 % erkrankt, an Sarkomen 15 % vs. 17 %. Das mittlere Alter lag in beiden Kohorten bei 62 Jahren. Die Erstvorstellung in der palliativmedizinischen Sprechstunde erfolgte 30 Monate bzw. 27 Monate nach Erstdiagnose der metastasierten Erkrankung und jeweils etwa ein halbes Jahr bevor die Patienten starben. Mehrheitlich hatten sich die Betroffenen beider Gruppen zur besseren Schmerzeinstellung sowie mit dem Wunsch einer sozialdienstlichen Anbindung in der palliativmedizinischen Sprechstunde vorgestellt.

Positivere Fremdeinschätzung trotz schlechterer Laborwerte

Trotz ähnlicher Ausgangscharakteristika ergaben die Selbst- und Fremdbeurteilungen für manche Beschwerden deutlich unterschiedliche Intensitäten, betonte die Doktorandin. Das galt besonders für
  • das allgemeine Befinden,
  • Müdigkeit,
  • fehlenden Appetit und
  • Schmerzen.
Deren Last hätten die Pflegekräfte deutlich unterschätzt, so Müller. Eine einfaktorielle Varianzanalyse belegte signifikante Unterschiede zwischen Fremd- und Selbstbeurteilung bei
  • Appetitmangel (p = 0,013),
  • Schwäche (p = 0,027) und
  • Allgemeinbefinden (p < 0,001).
Die zusätzlich erhobenen Laborwerte ergaben einen gesteigerten Eiweißmangel und erhöhte Entzündungswerte zum Zeitpunkt der Fremdbeurteilung. Beides weise darauf hin, dass die Tumorerkrankung seit der vorherigen Eigeneinschätzung sogar noch weiter fortgeschritten sei, erklärte die Referentin. Auch wenn es sich um monozentrische und retrospektive Daten handle, unterstreiche die Untersuchung die Bedeutung einer patientengesteuerten Erfassung der Symptomlast im palliativmedizinischen Setting, resümierte Müller. Professor Dr. ‑­Bernhard ­Wörmann, Charité – Universitätsmedizin Berlin, der die Daten kommentierte, ergänzte, es sei erschreckend, dass mindestens drei relevante Symptome von den Patienten deutlich gravierender eingeschätzt wurden als vom palliativen Pflegepersonal. Man müsse den Erkrankten die Möglichkeit geben, das auszudrücken.

* Minimal Documentation System 2

Quellen:
1. Müller S et al. DGHO-Jahrestagung 2021; Abstract V365
2. Wörmann B. DGHO-Jahrestagung 2021; Best of Congress – Onkologie
DGHO-Jahrestagung 2021