AGSMO-Jahreskongress 2021: Mehr Lebensqualität für den Krebspatienten schaffen

Autor: Dr. Daniela Erhard

Bewegung wie in Form von Tanzen ist zu empfehlen, um die Fatigue in den Griff zu kriegen und die Koordination zu verbessern. Bewegung wie in Form von Tanzen ist zu empfehlen, um die Fatigue in den Griff zu kriegen und die Koordination zu verbessern. © rawpixel.com – stock.adobe.com

Eine gute Supportivtherapie gehört bei einer Krebsbehandlung eigentlich immer mit dazu. Wie sie aussehen sollte und wo es noch hakt, wurde auf dem AGSMO-Kongress aufgedeckt. Im Gespräch erklärt Privatdozentin Dr. Georgia Schilling aus Hamburg, was für Patienten wichtig ist.

Auch wenn es zur supportiven Therapie bei onkologischen Patienten eine S3-Leitlinie gibt, erhalten längst nicht alle Betroffenen die optimale Behandlung. Warum sollte man den supportiven Aspekt von Beginn an mit bedenken?
PD Dr. Georgia Schilling:
Durch eine gute, leitliniengerechte Supportivtherapie verbessern wir die Qualität unserer hämatoonkologischen Behandlung, weil wir den Patienten damit einiges an unangenehmen Nebenwirkungen ersparen können.

Als Erstes fällt mir hier die therapiebedingte Übelkeit ein. Wenn wir die nicht verhindern, graust es dem Betroffenen möglicherweise nach ein paar Mal so sehr, dass sich eine antizipatorische Übelkeit einstellt. Ihm wird dann schon schlecht, bevor die Medikamentengabe stattfindet. Das kann man durch eine suffiziente Anti­emese wirklich sehr gut behandeln. Gerade in diesem Bereich haben wir richtig tolle Fortschritte gemacht.

Oder auch die Neutropenie durch Chemotherapeutika: Setzen wir hier nicht rechtzeitig auf einen G-CSF-Support, gefährden wir unsere Patienten sogar. Sie sind dann lange Zeit neutropen und können sich eine Infektion einfangen, die im schlimmsten Fall in Form einer Sepsis tödlich enden kann. Das lässt sich durch den Wachstumsfaktor verhindern. Da ist die Adhärenz zur Leitlinie zwar schon ganz in Ordnung, aber es ist immer noch Luft nach oben.

Übelkeit und Neutropenie sind vor allem in der Akutphase relevant. Welche Konsequenzen hat mangelnde Leitlinienadhärenz für die Zeit nach dem Ende einer Chemo- oder Strahlentherapie?
Dr. Schilling:
Bei uns in der Reha ist Fatigue ein Riesenthema. Laut einer Studie liegt die Prävalenz in den onkologischen Reha-Abteilungen über alle Grade bei 80 %, vor allem nach Behandlung mit TKI* oder auch Immuntherapien. Dabei muss man aber bedenken, dass es Nebenwirkungen gibt, die sich für den Patienten viel schlimmer anfühlen, als wir sie beurteilen würden. Selbst eine geringgradige Fatigue belastet die Betroffenen schon stark.

Wie lässt sich einer Fatigue denn entgegenwirken?
 Dr. Schilling:
Bewegung ist eine der Säulen für das Vermeiden und Behandeln einer Fatigue. Daher wäre es natürlich sinnvoll, bereits während der Akuttherapie parallel Sport und Bewegung anzubieten. Während wir früher der Ansicht waren, dass man eine Pause einlegen sollte, wenn man sich unter der Chemotherapie schlapp fühlt, machen wir aktuell das Gegenteil. Wir scheuchen die Patienten nahezu aus dem Bett. Aber das ist viel zu wenig. Fatigue ist ja ein Teufelskreis: Man fühlt sich schlapp und legt sich hin, dann legt man sich immer mehr hin, baut in der Folge Muskelmasse ab und wird nur noch schlapper und immobiler.

Aktivität ist in vielen Bereichen der Supportivtherapie ein zentraler Baustein und bekommt deshalb eine eigene Leitlinie. Bei nicht-schmerzhafter Neuropathie sind Bewegungstherapie und koordinatives Training eine wichtige Säule der Behandlung. Können Sie mehr dazu berichten?
Dr. Schilling:
Genau. Hier haben wir bislang außer mit der Bewegungstherapie keine evidenzbasierte Option, auch kein Medikament, das helfen könnte. Bei Schmerzen gibt es zumindest Evidenzen für die Anwendung von Pflastern und Duloxetin. Es ärgert mich, wenn die Patienten in die Reha kommen und über Kribbeln und Koordinationsstörungen berichten. Auch da mangelt es m.E. an der Aufklärung in der Akutphase.

Machen die Patienten nämlich schon während einer neurotoxischen Chemotherapie z.B. ein Koordinationstraining, haben sie hinterher viel weniger Probleme. Doch ich erlebe es fast jede Woche, dass jemand klagt: „Das hat mir keiner gesagt, als ich die Behandlung bekommen habe.“ Auch hier lautet die Empfehlung also, schon während der onkologischen Therapie damit anzufangen, etwas gegen die Polyneuropathie zu tun.

Darüber hinaus muss man den Patienten wirklich klar machen, was sie mit regelmäßiger körperlicher Bewegung für sich tun können. Sport ist einfach wahnsinnig wichtig: für die Herz-Kreislauf-Gesundheit, bei der Gewichtsreduktion mit Fettabbau und Muskelaufbau oder für die Knochengesundheit.

Und nicht zuletzt senkt man sein persönliches Rezidivrisiko durch regelmäßige Bewegung. Natürlich immer zusammen mit einer gesunden Ernährung. Denn Sport allein – das muss man klar sagen – hilft auch nicht allen. Das alles muss noch viel stärker ins Bewusstsein rücken.

Welche Sportarten sind dabei besonders geeignet?
Dr. Schilling:
Ideal wäre es, Kraft- und Ausdauersport zu kombinieren. Ich persönlich bin aber schon froh, wenn die Patienten überhaupt regelmäßig etwas machen. Tai-Chi, Qi-Gong und Yoga sind zum Beispiel gut bei Fatigue. Eventuell sind das aber auch nur die Techniken, die in diesem Zusammenhang besonders untersucht wurden. Welche Sportart die beste ist, kommt auch auf die Person an. Wer sich für etwas begeistern kann, macht es auch gerne – und das lässt sich vielleicht einfacher integrieren. Ich empfehle meinen Patienten immer, tanzen zu gehen.

Warum ausgerechnet Tanzen?
Dr. Schilling:
Das ist sehr sozial, durchaus auch anstrengend und – wenn man es in MET** ausdrückt – eine durchaus wertige Bewegung. Es lässt sich an jedes Leistungsniveau anpassen und ist ein Sport, der die Koordination sehr fördert. Dadurch, dass man sich Schrittfolgen merken muss, stärkt man auch noch die Kognition.

Raten Sie das auch Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, den sogenannten (C)AYAs?
Dr. Schilling:
Grundsätzlich unterscheidet sich die Empfehlung zur Bewegung für Jung und Alt nicht. Aber für jüngere Patienten ist Gesellschaftstanz vielleicht nicht das Richtige. Hier würde sich beispielsweise Stand-up-Paddling anbieten, was gerade modern ist. Das ist ebenfalls gut für die Koordination und das Training der kleinen Muskeln.

In die überarbeitete S3-Leitlinie Supportivtherapie sollen einige Aspekte neu aufgenommen werden – unter anderem immunassoziierte Nebenwirkungen. Warum?
Dr. Schilling:
Das Nebenwirkungsmanagement der Immuntherapien in die Leitlinie aufzunehmen, war ja der größte Wunsch der Leserschaft. Wir verwenden diese Substanzen immer häufiger. Sie sind allgemein gut verträglich und einfach zu applizieren. Aber man muss sich vorab mit den möglichen Nebeneffekten intensiv auseinandersetzen. Da hilft eine Leitlinie, weil man einfach nachschauen kann.

Bei den Checkpoint-Inhibitoren kann letztlich jedes Organsystem betroffen sein. Anders als bei der Chemotherapie wissen wir noch nicht seit vielen Jahren im Detail, mit welchen Toxizitäten man zu rechnen hat und wir müssen oft noch Erfahrungen sammeln. Von manchen Effekten wissen wir aber auch schon, dass sie wieder verschwinden und man keine Angst davor haben muss.

In Ihrem Vortrag haben Sie als Beispiel dafür die Knochenmarktoxizität einer anderen Substanzgruppe, den CDK 4-/6-Inhibitoren, vorgestellt. Worauf sollten Ärzte hierbei achten?
Dr. Schilling:
Auf die Blutbildungsstörungen durch diese Wirkstoffe muss man natürlich aufpassen und gegebenenfalls die Dosis anpassen. Aber bei den neueren Therapien wird die Knochenmarktoxizität eben nicht wie bei der Chemo von Zyklus zu Zyklus wahrscheinlicher, sondern tritt eher am Anfang auf – und wird dann wieder weniger relevant. Da braucht man bei einer Neutropenie i.d.R. keine Wachstumsfaktoren.

Ein weiterer neuer Punkt wird die Kardiotoxizität sein. Ist dieses Thema wirklich neu?
Dr. Schilling:
Ich glaube, dies in die Leitlinie aufzunehmen, ist nötig. Man macht doch immer wieder die Erfahrung, dass Patienten, die eine kardiotoxische Chemotherapie und/oder Bestrahlung bekommen haben, keine regelmäßige Echokardiographie während der Therapie und in der Nachsorge erhalten. Was außerdem neu berücksichtigt werden soll, ist die Bedeutung von Serummarkern wie Troponin und pro-BNP, die eine myokardiale Schädigung schon früher anzeigen können. Sollten diese mit hohem Evidenzgrad empfohlen werden – aktuell wissen wir das ja noch nicht –, hätte das auch eine gewisse Gewichtung. Dann werden es hoffentlich viele in ihre Routine mit einbauen.

Wie ist Ihr persönlicher Eindruck vom diesjährigen Kongress?
Dr. Schilling:
Schön fand ich, dass die Pflege voll integriert wurde. Sie spielt im Nebenwirkungsmanagement eine wichtige Rolle und ist für uns Ärzte eine sehr große Unterstützung. Außerdem ist mir positiv aufgefallen, dass viele Teilnehmer zugeschaltet waren. Da sieht man doch, dass die Supportivtherapie an Bedeutung gewinnt und sich die Wahrnehmung in der Ärzteschaft verändert. Lautete früher das Motto eher „Da muss der Patient jetzt mal die Zähne zusammenbeißen“, wächst nun die Erkenntnis, dass wir viele gute Dinge tun können, um eine Reihe von Nebenwirkungen zu vermeiden oder auch zu verhindern. Da kann man für den Patienten extrem viel Lebensqualität schaffen – und das ist ja auch eins unserer großen Ziele.

* Tyrosinkinase-Inhibitor
** metabolisches Äquivalent

Quelle: Interview

PD Dr. Georgia Schilling, Hämatologie, internistische Onkologie, Palliativmedizin und Rheumatologie, Asklepios Klinik Altona PD Dr. Georgia Schilling, Hämatologie, internistische Onkologie, Palliativmedizin und Rheumatologie, Asklepios Klinik Altona © Felix Matthies