Wunschoperation Trotz sachgerechter OP haftet der Chirurg für alle Folgeschäden
Auch wenn ein Patient sehr auf eine OP drängt, sollte nur bei gegebener Indikation operiert werden. Denn ohne Indikation ist das Haftungsrisiko hoch, wie der Fall eines Rückenpatienten aus Niedersachsen zeigt. Der Mann war bereits 2005 an der Bandscheibe L5/S1 operiert worden und 2009 auf Höhe L4/L5. Einige Jahre später entwickelte er erneut hexenschussartige Rückenschmerzen. Ein Rezidiv wurde durch eine MRT ausgeschlossen. Mit Verdacht auf eine aktivierte Osteochondrose empfahl man zunächst körperliche Schonung und danach eine Physiotherapie.
Nach drei Wochen stellte sich der Patient jedoch in einer Fachklinik für Orthopädie mit dem Wunsch nach einer erneuten Operation vor. Nach weiteren Röntgenaufnahmen wurde dem vier Wochen später stattgegeben. Unter der Diagnose „Lumboischialgie bei Bandscheibenvorfall L3/4, L4/5 und L5/S1“ erfolgte über einen kombiniert pararektal-retroperitonealen Zugang ein Bandscheibenersatz.
Der postoperative Verlauf war zunächst unkompliziert, nur ein Serom musste entleert werden. Doch vier Tage nach seiner Entlassung stellte sich der Patient mit einer handbreit geröteten und indurierten Wunde in einer Praxis vor. Dort diagnostizierte man ein subkutanes Serom der Bauchdecke, eröffnete die Wunde und leitete eine Antibiotikatherapie ein. Im Verlauf wölbte sich das Abdomen des Mannes bei nach rechts verlagertem Nabel immer weiter vor, was den Verdacht auf eine Muskelatrophie weckte. In der CT zeigte sich eine komplexe Defektsituation der Bauchdecke. Der Patient führte dies auf Fehler bei der Operation zurück und wandte sich schließlich an die Schlichtungsstelle der Ärztekammer Niedersachsen.
Die beauftragte Gutachterin kam nach Aktenlage zu dem Schluss, dass die Indikation für die OP nicht gegeben war. Die akuten Rückenschmerzen bei Belastung hätten erst seit Kurzem bestanden und es waren keine radikulären Symptome oder neurologischen Ausfälle dokumentiert. Trotzdem wurde schon nach wenigen Wochen operiert, ohne dass vorher Physiotherapie, Analgetika oder wirbelsäulennahe Infiltrationen angeboten worden waren.
Die Schlichtungsstelle schloss sich der Beurteilung, dass keine OP-Indikation vorgelegen hatte, an. Dies bedeutet, dass sämtliche Folgen des nicht indizierten Eingriffs schadenersatzfähig sind, schreiben Ass. Jur. Kristin Hinrichsen und Prof. Dr. Sami Hussein von der Schlichtungsstelle für Arzthaftungsfragen der Ärztekammer Niedersachsen.
Das Durchführen einer nicht indizierten Operation ist immer ein Behandlungsfehler – auch wenn der Patient sie unbedingt wollte. Die Indikation zu stellen obliegt allein dem Arzt, der Patient kann nur zwischen indizierten Maßnahmen entscheiden, betonen die Autoren.
Quelle: Hinrichsen K, Hussein S. Niedersächsisches Ärzteblatt 2023; 4: 20-21