Bispezifische Antikörper Wirkung, Toxizität und Sequenz
Auf der einen Seite seien bispezifische Antikörper sehr effektiv, andererseits gehen sie mit erheblichen Nebenwirkungen einher, erinnerte Prof. Dr. Hermann Einsele, Uniklinikum Würzburg. Neurotoxizitäten (s. Kasten) gäbe es v.a. mit gegen CD19 gerichteten Bispecifis und weniger bei solchen, die z.B. auf CD20 oder BCMA abzielen. Ein hohes Risiko für Neurotoxizitäten und Zytokinfreisetzungssyndrome haben Personen mit großer Tumormasse; verringern lässt es sich durch eine Dexamethason-Vortherapie und eine Step-up-Dosierung.
Bei Mittel- und Langzeitanwendung komme es u.a. zu B-Zell-/Plasmazell-Depletionen und Infektionen sowie einer T-Zell-Erschöpfung, sagte der Referent. „Wir sind noch nicht am optimalen Anwendungsmodus der bispezifischen Antikörper angekommen.“ Das maximale Ansprechen der Patient:innen erfolge meist nach 1–3 Monaten. Es sei auch bekannt, dass bei Erkrankten, deren Tumoren bereits angesprochen hatten, eine weitere Gabe eines bispezifischen Antikörpers erneut wirksam ist. Man diskutiere daher, ob die Behandlung nicht als Dauertherapie eingesetzt werden soll, sondern vielmehr ansprechenadaptiert und mit einer festgelegten Dauer, um T-Zell-Erschöpfung und Infektionsneigung zu verringern.
Pathomechanismus der Neurotoxizität
Bispezifische Antikörper erhöhen die Adhäsion von T-Zellen an das Gefäßendothel, vor allem im Gehirn. Dadurch kommt es zur Endothelaktivierung, woraufhin die Antikörper und T-Zellen die Blut-Hirn-Schranke passieren können und dort auf lokale B-Zellen treffen. Das führt zur lokalen Zytokinfreisetzung und damit zur Neurotoxizität, erläuterte Prof. Einsele.
Klinischen Daten zufolge sind 40 % der Patient:innen, die vor rund 15 Jahren mit Blinatumomab behandelt wurden, noch immer in Remission. „Die Therapie ist potenziell kurativ“, so Prof. Einsele. Allerdings kam es damals in mehr als 22 % der Fälle zu Neurotoxizitäten von mindestens Grad 3, weshalb die gegen CD19 gerichteten bispezifischen Antikörper nicht weiterentwickelt wurden. Es gäbe mittlerweile viele auf CD20 abzielende Substanzen. Am weitesten entwickelt sei das bereits für das rezidivierte/refraktäre follikuläre Lymphom nach mindestens zwei Therapielinien zugelassene Mosunetuzumab. Auch Teclistamab hat eine Zulassung erhalten: Indiziert ist die Substanz für Personen mit rezidiviertem/refraktärem Multiplem Myelom nach mindestens drei Behandlungslinien.
Vorteil biospeziofischer Antikörper
Im Gegensatz zu CAR-T-Zellen stünden bispezifische Antikörper off the shelf zur Verfügung. Sie ließen sich präzise dosieren, während das CAR-T-Zell-Produkt eine hohe Variabilität aufweise. Bei rasch proliferierenden Tumoren solle man die Bispecifics als unmittelbar verfügbare Therapie bevorzugen. Aber: Die Ansprechraten auf CAR-T-Zellen seien sowohl beim Myelom als auch bei Lymphomen höher, so Prof. Einsele. Lautet das Ziel also Kuration oder ein langes krankheitsfreies Überleben, so müsse die CAR-T-Zell-Therapie zuerst geprüft werden. „Wir brauchen Immuntherapie-Boards, in denen wir diese verschiedenen immuntherapeutischen Verfahren miteinander abwägen“, bekräftigte der Referent.
Es häufen sich Daten, die demonstrieren, dass eine Vorbehandlung mit bispezifischen Antikörpern eine nachgeschaltete CAR-T-Zell-Therapie in ihrer Wirksamkeit negativ beeinflusst. Denn: Es bestehe ein hohes Risiko eines kompletten Antigenverlustes, betonte Prof. Einsele. Erhält ein Erkrankter erst CAR-T-Zellen und dann bispezifische Antikörper, beeinträchtige das die Wirksamkeit nur unwesentlich. „Die Sequenz der Therapie muss sorgfältig geplant werden.“ In Zukunft werden bispezifische Antikörper auch in früheren Therapielinien zum Einsatz kommen.
Quelle:
Einsele H. DKK 2022; Vortrag „Bispezifische Antikörper“