Lippengrind vom Weiderind Wanderin infiziert sich ohne direkten Tierkontakt
Beim Wandern mit der Familie wurde eine 44-jährige Frau von einer Kuh angegriffen. Diese stieß die Frau zu Boden und schleifte sie meterweit mit. An einen direkten Hautkontakt mit dem Tier konnte sich die Frau aber nicht erinnern. Bei dem Sturz zog sie sich eine Schürfwunde an der rechten Schläfe zu, deretwegen sie in einem lokalen Notfallzentrum behandelt wurde.
Derbe Knoten, umgeben von einzelnen Pusteln
Die Läsion verheilte unter einer desinfizierenden Lokaltherapie zunächst regelrecht. Aber etwa zehn Tage nach dem Unfall bildeten sich im Bereich der Verletzung druckdolente entzündliche Knoten, weshalb die Patientin zur Mitbeurteilung im Helios Universitätsklinikum Wuppertal vorgestellt wurde. Dort fielen drei derbe nicht-konfluierende Nodi mit einem Durchmesser von 1–1,5 cm und einzelnen Pusteln im Randbereich auf. Die umgebende Haut war teigig geschwollen, berichten Simona Sabulyte und Kolleginnen vom Zentrum für Dermatologie, Allergologie und Dermatochirurgie der Klinik. Außerdem ließ sich zervikal rechts ein schmerzhaft vergrößerter Lymphknoten ertasten.
Eine Blutuntersuchung ergab keine bedeutsamen Befunde, die Entzündungswerte befanden sich im Normbereich. Der Abstrich zum Nachweis von Erregern und Resistenzen inklusive eines PCR-Tests auf Herpes-simplex-Viren lieferte keinen Hinweis auf Pathogene. Wegen der besonderen Vorgeschichte erfolgte zusätzlich eine PCR-Untersuchung auf Ortho- und Parapoxviren. Diese ergab, dass die Patientin einen Orf hatte, auch Ecthyma contagiosum genannt. Auslöser ist das Parapoxvirus, das zur Familie der Pockenviren zählt.
Spontane Heilung abwarten, Superinfektionen verhindern
Aufgrund des selbstlimitierenden Verlaufs dieser Erkrankung beschränkten sich die Ärztinnen auf eine antiseptische Therapie mit einer wässrigen octenidinhaltigen Lösung zur Prophylaxe einer bakteriellen Superinfektion. Innerhalb von zwei Wochen flachten die Knoten ab, Umgebungserythem und Lymphknotenschwellung bildeten sich zurück.
Das Ecthyma contagiosum ist eine Zooanthroponose, die mehrheitlich vom Tier auf den Menschen übertragen wird. Befallen werden vor allem kleinere Nutztiere wie Ziegen und Schafe. Bei diesen löst das Virus inflammatorische Haut- und Schleimhautläsionen an Nase, Lippen und Augen aus. Auch andere Spezies können befallen sein, etwa Hunde, Katzen, Pferde, Kühe und Kamele.
Beim Menschen entwickeln sich nach einer Inkubationszeit von drei bis zehn Tagen Hautveränderungen an exponierten Bereichen wie Finger, Handrücken und Unterarme. Innerhalb von drei bis sechs Wochen heilt der Orf spontan ab.
Die Infektion erfolgt meist durch direkten Kontakt mit dem Tier oder mit Produkten wie Fleisch und Fell. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist sehr selten. Das Virus ist weitgehend resistent gegen Austrocknung, Kälte und Wärme. Es kann jahrelang auf Oberflächen wie Zäunen und Futtertrögen überstehen. Die Patientin des Fallberichts hat sich vermutlich über den Erdboden angesteckt.
Unter beruflich exponierten Personen scheint die Erkrankung recht häufig zu sein. So geben rund 30 % der Landwirte in Großbritannien an, zumindest ein Mal von Orf betroffen gewesen zu sein. Trotz Bildung von IgG-Antikörpern entwickelt sich keine Immunität. Zur Prävention eignen sich angemessene Handhygiene und Schutzhandschuhe.
Quelle: Sabulyte S et al. „Ein Orf-Fall ohne direkten Tierkontakt“, Akt Dermatol 2024; 50: 180-183; DOI: 10.1055/a-2194-2754