Brustkrebs Warum die aktive Überwachung von Niedrigrisiko-DCIS eine Überlegung verdient
Infolge des Mammografiescreenings ist die Inzidenz des DCIS stark gestiegen. Allerdings nehmen nur etwa 10–15 % dieser Veränderungen einen invasiven Verlauf, berichten Forschende um Prof. Dr. Suzette Delaloge, Institut Gustave Roussy in Villejuif. Ohne Screeningdetektion würden viele davon also vermutlich klinisch nie in Erscheinung treten. Modellierungsstudien gehen davon aus, dass bis zu 65 % der DCIS indolent sind und es sich folglich bei ihnen um potenzielle Überdiagnosen handelt. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob diese unter bestimmten Umständen gar nicht therapiert, sondern einfach nur beobachtet werden können.
Das Prinzip der Active Surveillance wird bereits erfolgreich bei anderen onkologischen Erkrankungen angewendet, etwa dem Prostatakarzinom, einigen Nierenzelltumoren oder Barrett-Ösophagus. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass Behandelnde Niedrigrisiko-Läsionen zuverlässig identifizieren können, schreiben die Wissenschaftler:innen. Sie betonen aber auch, dass dieses Prinzip bislang noch keine validierte Therapieoption darstellt. Zudem müsse die onkologische Sicherheit dieser Strategie bewiesen sein.
Ursachen des onkogenen Switch bleiben unklar
Wie können Ärzt:innen also diejenigen DCIS, die zur invasiven Progression tendieren, von DCIS ohne diese Neigung unterscheiden? Die gegenwärtig verfügbaren Biomarker können dies nicht leisten, berichtet das Team. Zu ihnen zählen beispielsweise das zytonukleäre Grading, Ausdehnung, Resektionsränder, Hormonrezeptor- und HER2-Status, tumorinfiltrierende Lymphozyten, Proliferations- und Immunmarker sowie traditionelle molekulare Marker für invasive Mammakarzinome. Auch anhand individueller genomischer Merkmale lassen sich Hoch- und Niedrigrisiko-DCIS bislang nicht zuverlässig abgrenzen.
In den vergangenen Jahren wurden zwar zahlreiche Erkenntnisse über das onkogene Kontinuum zwischen Vorläuferläsionen und dem invasiven Mammakarzinom gewonnen. Dennoch sei unklar, warum und durch welche Mechanismen einige DCIS den onkogenen Switch vollziehen und welche prognostischen Biomarker auf dieses aggressive biologische Verhalten hindeuten. Die Autor:innen setzen ihre Hoffnung diesbezüglich in moderne wissenschaftliche Methoden wie Multiomics- und Einzelzellanalysen, gegebenenfalls unterstützt durch Künstliche Intelligenz.
Die verschiedenen Therapiestrategien beim DCIS – Operation, Radiatio und optional die endokrine Therapie – senken zwar das Risiko für lokale Tumorereignisse, beeinflussen aber die Überlebensprognose nicht, berichten die Forschenden um Prof. Delaloge.
Ist die Active Surveillance ein Modell für die Zukunft?
Gegenwärtig geht es daher in mehreren prospektiven Studien darum, ob bei bestimmten Konstellationen (low-grade, ER+, HER2-) eine aktive Überwachung, und gegebenenfalls die endokrine Therapie, vertretbar ist. In diesem Fall könnte man vielen Betroffenen nebenwirkungsreiche Therapien ersparen.
Bis echte Präkanzerosen sicher von indolenten DCIS ohne Progressionspotenzial unterschieden werden können, müssten Ärztinnen und Ärzte beim Management eine Balance zwischen Über- und Untertherapie finden, schreiben die Autor:innen. Zudem bestehe weiterer Bedarf an guten Deeskalationsstudien zu dem Thema.
Vor diesem Hintergrund sei die am besten geeignete Vorgehensweise, die betroffenen Frauen im Sinne des Shared Decision Making umfassend über die individuellen Vor- und Nachteile des Screenings sowie der verschiedenen Therapiestrategien aufzuklären. Wichtig sei auch, die individuellen Lebensumstände zu berücksichtigen. Dann können sie eine auf ihre persönlichen Bedürfnisse optimal zugeschnittene Behandlung wählen.
Quelle:
Delaloge S et al. Lancet 2024;DOI: 10.1016/S0140-6736(24)00425-2