Was für die antihypertensive Chronotherapie spricht und was dagegen
Bei der Diskussion um eine antihypertensive Chronotherapie ist zu berücksichtigen, dass Hypertoniker ganz unterschiedliche Blutdruckprofile aufweisen, erinnerte Professor Dr. Marcel Halbach von der Universitätsklinik Köln. Die meisten zeigen zwar ein normales nächtliches Dipping. Es gibt aber auch verschiedene Typen von Non-Dippern: Dazu zählen Patienten, deren Blutdruck nachts kaum sinkt oder sogar steigt, sowie diejenigen mit hypertensiven Drücken ausschließlich bei Nacht. Hinzu kommen die „Extremdipper“ mit sehr ausgeprägtem Blutdruckabfall in den Nachtstunden.
45%ige relative Risikoreduktion
In der multizentrischen Hygia-Studie sind spanische Kollegen prospektiv der Hypothese nachgegangen, dass die Einnahme von Antihypertensiva vor dem Schlafengehen – im Vergleich zur morgendlichen Einnahme – das kardiovaskuläre Risiko senkt. Dazu haben sie etwa 19 000 teils behandelte, teils unbehandelte Hypertoniker randomisiert. Die eine Hälfte schluckte die gesamte antihypertensive Medikation abends, die andere morgens. Am Ende des medianen Follow-ups von 6,3 Jahren stand eine signifikante 45%ige relative Risikoreduktion für schwere kardiovaskuläre Komplikationen* in der „Abendgruppe“. Die Autoren interpretierten dies so, dass die antihypertensive Therapie routinemäßig besser abends als morgens erfolgen sollte.
Druckunterschied von gerade einmal 3 mmHg
Die Studie wurde stark kritisiert. Die Herausgeber des „European Heart Journal“ haben die Publikation mit einer Art Warnhinweis versehen. Inhalt und Durchführung würden zurzeit geprüft. Deshalb sollten die Resultate und Schlussfolgerungen mit Vorsicht bewertet werden. Prof. Halbach wies darauf hin, dass die Teilnehmer allenfalls mäßig erhöhte Blutdruckwerte aufwiesen. Die systolischen Drücke lagen zu Studienbeginn im Schnitt bei 136 mmHg am Tag, 123 mmHg nachts und 131 mmHg im 48-Stundenmittel. Die Hälfte der Patienten waren Non-Dipper, was bei den relativ niedrigen Ausgangsdrücken nicht wundert.
Ins Auge fällt die starke Risikoreduktion bei einer Differenz des nächtlichen Blutdrucks von gerade einmal 3 mmHg zwischen den Gruppen. Das ist mehr als Antihypertensiva im Placebovergleich leisten, betonte Prof. Halbach. Auffällig auch, dass alle Patienten bis zum Studienende bei der Stange blieben. Dass von 20 000 Teilnehmern keiner in 6,3 Jahren aus dem Blickfeld verschwindet, ist kaum zu erwarten. Kritisch anmerken lässt sich zudem, dass die Wirkstoffauswahl nicht standardisiert erfolgte, sondern nach ärztlichem Ermessen, und dass die Teilnehmer einen milden oder gut kontrollierten Hochdruck aufwiesen.
„Es gibt zu viele offene Fragen, um die antihypertensive Therapie zur Nacht als Standard zu empfehlen“, resümierte Prof. Halbach. Er erinnerte außerdem daran, dass die abendliche Einnahme für Extremdipper zum Problem werden kann, wenn der Blutdruck nachts so stark sinkt, dass die Durchblutung in Herz, Hirn oder Retina unter kritische Werte fällt. Stumme zerebrale und retinale Ischämien sind bei Extremdippern bereits beschrieben.
Auf der Habenseite steht, dass die abendliche Therapie bei den meisten Patienten wohl sicher ist und tatsächlich einen kardiovaskulären Benefit bringen könnte. Prof. Halbach sieht eine Indikation bei
- Non-Dippern,
- rein nächtlicher Hypertonie und
- Patienten, die tagsüber mit Nebenwirkungen kämpfen.
Sein Fazit: „Nichts spricht gegen die abendliche Einnahme, sofern Extremdipping ausgeschlossen ist.“
Quelle: 87. Jahrestagung der DGK**
* kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, koronare Revaskularisierung, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall
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