Reizdarmsyndrom „Nehmen Sie die Patienten ernst!“
In jeder Praxis gibt es Patientinnen und Patienten mit Reizdarm. Erstens ist das Syndrom recht häufig. Zweitens macht es Beschwerden, die die Betroffenen in der Regel abklären lassen und auch behandelt haben wollen. Und drittens handelt es sich bei der Erkrankung um eine meist sehr langwierige Sache, sodass die Patientinnen und Patienten immer wieder kommen.
Betroffene gelten oft als eingebildete Kranke
„Diese Erkrankungen werden immer belächelt, weil man eigentlich mit den Methoden, die man zur Verfügung hat, keine Ursache findet. Und dann denkt man, wenn ich nichts finde, dann kann der Patient auch nichts Organisches haben. Der Patient gilt dann häufig als eingebildeter Kranker. Und das ist ein großes Problem“, erklärt Prof. Dr. Thomas Frieling, Helios Kliniken Krefeld, im Podcast. Denn: „Ein Reizdarmsyndrom ist eine organische Erkrankung. Und die Beschwerden, die ein Patient angibt, haben eine organische Ursache, sind also nicht eingebildet.“
Lange Zeit betrachtete man die Symptome bei Reizdarm und verwandten Syndromen als funktionelle Beschwerden. Heute weiß man, dass u .a. beim Reizdarm eine Misskommunikation zwischen Kopf- und Bauchhirn eine wesentliche Rolle spielt. Das Reizdarmsyndrom wird daher seit einiger Zeit nicht mehr als funktionelle Erkrankung bezeichnet, sondern eingruppiert in die sogenannten Disorders of Gut-Brain Interaction, also Störungen der Darm-Hirn-Achse. Relativ neu ist die Erkenntnis, dass das enterische Nervensystem oder Bauchhirn ein eigenständiges Nervensystem ist, was die wesentlichen Funktionen im Magen-Darm-Trakt unabhängig vom Kopfhirn regulieren kann, so Prof. Frieling. Das Bauchhirn lasse sich konditionieren. Das bedeute einerseits, dass man normale Funktionen im Bauchhirn verlernen oder abnorme Funktionen erlernen kann, und andererseits, dass man durch bestimmte Therapiestrategien diese Konditionierung möglicherweise auch wieder entfernen kann.
Das versucht man z. B. mit der Darmhypnose zu erreichen. In der internationalen Literatur ist deren Wirksamkeit inzwischen gut beschrieben, so der Experte. Allerdings werde sie in Deutschland bisher nur an wenigen Orten angeboten. Zu den weiteren Therapieoptionen gehören:
- die Ernährungstherapie (z. B. low-FODMAP)
- die medikamentöse Behandlung (z. B. mit Spasmolytika, bestimmten Phytotherapeutika)
- Probiotika
- niedrig dosierte trizyklische Antidepressiva
- psychotherapeutische Verfahren, Entspannungstechniken
Bei nahezu allen Therapieversuchen gilt das Trial-and-Error-Prinzip. In der Regel dauert es ein paar Wochen, bis man beurteilen kann, ob die Behandlung eine Verbesserung bringt oder nicht.
Welche Untersuchungen sind nötig – und welche nicht?
Prof. Frielings Abschlussplädoyer an alle Ärztinnen und Ärzte: „Nehmen Sie die Patienten ernst. (…) Sie haben es verdient.“ Doch bei welchen Beschwerden sollte man überhaupt an einen Reizdarm denken? Welche Untersuchungen sind notwendig für die Diagnosestellung, welche kann man sich sparen? Das und mehr erklärt Prof. Frieling in der aktuellen Folge von O-Ton Allgemeinmedizin. Hören Sie rein!
Quelle: Medical-Tribune-Bericht
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