Exzessive Mediennutzung Wenn das Internet krank macht
Fast neun von zehn Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 19 Jahren spielen digital, streamen Serien und nutzen die sozialen Medien, schreiben PD Dr. Kerstin Paschke und Prof. Dr. Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. Das ist nicht verwunderlich, denn digitale Medien bieten eine Vielzahl von Chancen und Möglichkeiten. Sie helfen bei der Selbstorganisation, sorgen für Unterhaltung und stellen eine breite Palette an Information zur Verfügung, zudem ermöglichen sie soziale Interaktionen mit Freunden.
Gerade während der Coronapandemie mit ihren Lockdowns, Quarantänemaßnahmen und Schulschließungen haben sie bei Jugendlichen zur seelischen Gesundheit beigetragen, indem diese sich immerhin virtuell mit ihren Peers austauschen konnten. Auf der anderen Seite wirkte sich die Angst, etwas zu verpassen, ebenso wie das Aufsuchen möglicherweise gefährlicher Websites emotional negativ aus.
Mediennutzung möglichst bei 2,5 h pro Tag deckeln
Vor allem Jugendliche, die schon zuvor psychische Probleme hatten, bekamen Schwierigkeiten, ihre Mediennutzung zu kontrollieren. In der Folge stieg die Nutzungsintensität auf 3,4 h täglich an – empfohlen werden von der BZgA* maximal 2,5 h, betonen die Kollegen.
Eine problematische Mediennutzung entwickelt sich meist aus einem zunächst normalen Konsum. Dabei droht nicht nur die Computerspielsucht (als ICD-Diagnose anerkannt). Auch übermäßiges Streamen oder ständiges Instagrammen kann zur Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit führen. Für die Diagnose der verschiedenen Digitale-Medien-Nutzungsstörungen (DMNS) gibt es mittlerweile spezielle Fragebogen, etwa die Streaming Disorder Scale oder die Social Media Use Disorder Scale, jeweils in einer Version für Betroffene und für Eltern. Hat sich die DMNS erst einmal voll entwickelt, sind Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Somatisierungen keine Seltenheit.
Eine weitere ernste digitale Gefahr für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist das Cybermobbing. Sie werden von anderen verbal attackiert, beleidigt und geschädigt, indem Gerüchte über sie oder Bilder von ihnen verbreitet werden. Auch können Infos vorenthalten oder Betroffene von Onlinetreffs ausgeschlossen werden – die Spielarten des Cybermobbings sind zahlreich. Anonymität und mangelnde Strafverfolgungsmöglichkeiten verstärken den Trend. Positive Beziehungen in der Familie und zu Freunden und eine strikte Haltung gegenüber solchen Angriffen können vor den psychischen Auswirkungen des Mobbings, darunter Angststörungen, Depressionen, Schlafprobleme und/oder selbstverletzendes Verhalten, schützen.
Verschiedene Webauftritte bieten weiterführende Infos
- Zielgruppe Eltern: www.schau-hin.info mit Kursangeboten, der Möglichkeit, direkt Fragen zu stellen, Newslettern und mehr
- Zielgruppe Kinder und Jugendliche: www.ins-netz-gehen.de mit Selbsttests zur übermäßigen Nutzung digitaler Inhalte, Online-Beratung, Quizfragen etwa zur Internet-Sicherheit etc.
- Zielgruppe Lehrkräfte (und Kinder/Eltern): www.internet-abc.de mit Lernmodulen, Unterrichtsmaterialien und Praxishilfen beispielsweise zum Umgang mit YouTube, WhatsApp und Facebook
Um DMNS und Cybermobbing entgegenzuwirken, sollte eine gesunde Mediennutzung gefördert werden, so die Hamburger Fachleute. Das steht auch in den Schul-Rahmenlehrplänen der Bundesländer, an der Umsetzung hapert es aber gelegentlich. Schon in der Grundschule sind Präventionsstrategien vorgesehen, die die Kinder über die Gefahren im Internet informieren. Das Programm „Medienhelden“ richtet sich an Siebt- bis Zehntklässler; es soll die Medienkompetenz der Schüler verbessern und Cybermobbing vermindern. PROTECT (Professioneller Umgang mit technischen Medien) ist für Schüler ab etwa zwölf Jahren gedacht, die schon ein riskantes Nutzungsmuster aufweisen.
Bei Res@t schließlich handelt es sich um eine App, die neben den Jugendlichen mit problematischer Internetnutzung auch deren Familie einbezieht. Seit Kurzem läuft deutschlandweit eine randomisierte Studie, die deren Wirksamkeit prüfen soll, erste Ergebnisse sind ab 2025 zu erwarten.
* Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Quelle: Paschke K, Thomasius R. Bundesgesundheitsbl 2024; 67: 456-464; DOI: 10.1007/s00103-024-03848-y