Internetsucht Kognitive Verhaltenstherapie kann aus der Suchtfalle Internet befreien
Wenn in Mainz die Hotline Verhaltenssucht klingelt, rufen zu 41 % Menschen mit Computerspielsucht an, zu 23 % aber auch Menschen mit einer Internetsucht anderer Art. Wie Diplom-Psychologe Dr. Klaus Wölfling, Leiter der Ambulanz für Spielsucht der Universitätsmedizin Mainz, berichtete, weisen 39 % der Hilfesuchenden ein abhängiges Verhalten im Zusammenhang mit Chatten und der Interaktion in sozialen Netzwerken auf, 27 % im Zusammenhang mit Recherche und Surfen. Ebenfalls 27 % nennen Internetsexsucht, 6 % eine Sucht nach Video- und Internetangeboten im Netz und 1 % geben eine Internetkaufsucht an.
2013 definierte der DSM-5 die Forschungsdiagnose „Internet Gaming Disorder“ als eine anhaltende und wiederkehrende Nutzung des Internets, um sich mit Spielen (meistens mit anderen Spielern) zu beschäftigen, die zu klinisch signifikanten Beeinträchtigungen oder Leiden führt. Bezogen auf zwölf Monate sollten für die Störung mindestens fünf Merkmale vorliegen (s. Kasten). Wie bei anderen Abhängigkeitserkrankungen gilt der Kontrollverlust als zentrales Kriterium, betonte Dr. Wölfling. Dagegen sei „Dauerzocken“ in den Ferien noch keine Sucht.
DSM-5-Kriterien der Internet Gaming Disorder
- gedankliche Eingenommenheit
- Entzugssymptomatik
- Toleranzentwicklung
- erfolglose Abstinenzversuche
- Verlust des Interesses an früheren Hobbys oder Beschäftigungen
- exzessives Nutzen internetbezogener Computerspiele trotz bewusster psychosozialer Probleme
- über das tatsächliche Ausmaß des Internetcomputerspiels lügen
- emotionsregulative Aspekte
- Gefährdung einer wichtigen Beziehung, Arbeits- oder Ausbildungsstelle durch die Teilnahme an Internetspielen
Das Altersspektrum reicht von Schulkind bis Rentner
Im neuen ICD-11 wird in der Kategorie „Gaming disorder, predominantly online“ nicht nur abhängiges, sondern auch riskantes Verhalten abgebildet und damit das Kontinuum von gelegentlichem bis hin zu suchtartigem Internetspielen berücksichtigt. In der Ambulanz für Spielsucht in Mainz weisen 11 % der dort vorstellig werdenden Personen eine unauffällige Internetnutzung auf, 23 % eine problematische, 36 % eine missbräuchliche und 30 % eine abhängige. Nicht immer sind Jugendliche betroffen: Die Altersspanne liegt in der Mainzer Ambulanz bei zwölf bis 67 Jahren. Für Menschen mit Internet- und Computerspielsucht entwickelten Dr. Wölfling und Kollegen eine manualisierte ambulante kognitive Verhaltenstherapie (KVT), deren Wirksamkeit in einer randomisierten klinischen Studie untersucht wurde.1,2 Die Intervention umfasst 15 Gruppensitzungen (100 Minuten einmal wöchentlich) ergänzt um acht Einzelsitzungen (50 Minuten alle 14 Tage). Nach Psychoedukation und Motivation folgen Interventionselemente inklusive der begleiteten Exposition und schließlich Transfer und Stabilisierung als Vorbereitung auf den Alltag. Die Gesamtdauer der Therapie beträgt vier Monate, entsprechend wurde als Kontrollbedingung in der Studie eine Wartezeit von vier Monaten geplant, nach der die Kontrollgruppe ebenfalls die Intervention erhalten konnte. Über die Hälfte der insgesamt 143 männlichen Studienteilnehmer nutzten Onlinecomputerspiele in problematischer Weise, zwischen 14,1 % und 18,1 % aber auch Online-Sexportale und 5,6–7 % Konsolen- und Offlinecomputerspiele. Selten wiesen die Patienten eine problematische Nutzung sozialer Netzwerke, eine Online-Kaufsucht oder exzessives Recherchieren/Surfen auf. Das Durchschnittsalter lag bei gut 26 Jahren und die überwiegende Mehrheit der Patienten war alleinstehend. Die Teilnehmer gaben an, an Wochentagen um die sechs Stunden, am Wochenende pro Tag um die acht Stunden am Bildschirm zu verbringen.Medientraining für Jugendliche
* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.
** Assessment of Internet and Computer Game Addiction Self-report
Quellen:
1. Wölfling K et al. Computerspiel- und Internetsucht. Ein kognitiv-behaviorales Behandlungsmanual. Kohlhammer 2012, ISBN 978-3-17-021697-6
2. Wölfling K et al. JAMA Psychiatry 2019; 76: 1018-1025; DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2019.1676