Impfung Wenn der Plexus brachialis verrückt spielt
Zwei Tage nach Gabe eines Totimpfstoffs gegen Gürtelrose in den linken Arm bekam eine 78-jährige Frau zunächst leichte Nackenschmerzen. Im Tagesverlauf entwickelte sie aber unerträgliche Schmerzen in der rechten Schulter, berichten der Internist Dr. Hans Theo Poschenrieder aus Staufenund der Radiologe Dr. Florian Poschenrieder aus Regensburg.
In der Klinik ergaben sich zwei Stunden nach Beginn der starken Schmerzen keine Hinweise auf einen Myokardinfarkt. Auch der orthopädische Befund blieb unauffällig, die Halswirbelsäule und das rechte Schultergelenk waren frei beweglich. Die Schmerzen ließen sich mit üblicher Medikation kaum lindern, am 3. Tag kam eine deutliche Schwäche der Muskulatur, vor allem des M. deltoideus rechts, hinzu. Im MRT zeigte sich eine zu einem entzündlichen Prozess passende Signalanhebung im Bereich von C5 rechts.
Nun wurde unter der Verdachtsdiagnose einer neuralgischen Schulteramyotrophie eine Therapie mit Pregabalin begonnen, die die Schmerzen zunächst linderte. Weil sie jedoch schon einen Tag später wieder in stärkstem Ausmaß zurückkehrten, erfolgte nun eine Stoßtherapie mit 60 mg Prednisolon täglich über sieben Tage, die man anschließend ausschlich. Darunter wurde die Patientin schon am 2. Tag schmerzfrei und ist es bis heute, sechs Monate später. Die Muskelkraft kehrte nur langsam, aber spürbar zurück. Inzwischen kann die Frau den Arm wieder bis 90 Grad abduzieren und im Alltag gut einsetzen.
Der neuralgischen Schulteramyotrophie liegt eine akute periphere Neuropathie des Plexus brachialis zugrunde; die Inzidenz wird mit 1:1000 bis 1:50.000 angegeben. Die beschriebenen Schmerzen und Lähmungen sind typisch; betroffen sind neben dem M. deltoideus oft auch weitere Schulter-Arm-Muskeln wie der. M. infraspinatus, der M. supraspinatus oder der M. trapezius.
Pathogenetisch nimmt man für diese wahrscheinlich multifaktoriell bedingte Neuropathie eine seronegative Neuritis infolge zirkulierender Immunkomplexe an. Zu den möglichen Auslösern gehören (verschiedene) Impfungen, Virusinfekte, starke Belastung der Muskulatur oder Operationen. Die Kortisonstoßtherapie wird empfohlen, ist aber nicht evidenzbasiert. Zwei Drittel der Betroffenen haben innerhalb von zwei Jahren keine Beschwerden mehr. Gerade wenn in den ersten Monaten dieser Neuropathie jedoch kaum eine Besserung eintritt, bleiben die Funktionseinschränkungen oft bestehen.
Quelle: Poschenrieder HT, Poschenrieder F. Bayerisches Ärzteblatt 2023; 78: 61