Wie Ärzte Geld verschwenden und Patienten schaden

Autor: Michael Brendler

Eine unnötige medizinische Leistung kostet nicht nur, sondern schadet auch den Patienten, wenn übereifrig behandelt oder auf Verfahren blind vertraut wird. Eine unnötige medizinische Leistung kostet nicht nur, sondern schadet auch den Patienten, wenn übereifrig behandelt oder auf Verfahren blind vertraut wird. © iStock.com/Neustockimages

Jeder vierte Patient glaubt, dass zu viele Tabletten bzw. medizinische Maßnahmen verschrieben und zu viele Tests durchgeführt werden. Sogar Ärzte schätzen, dass 21 % aller Verordnungen unnötig sind.

Mehr als 1400 Artikel aus dem Jahr 2017 haben Wissenschaftler durchsucht, um ihre Kollegen auf den medizinischen Überenthusiasmus hinzuweisen, der das Verhalten allzu oft beeinflusst. Insgesamt wählten Dr. Daniel J. Morgan von der Abteilung für Epidemiologie und Public Health der University of Maryland und sein Team neun Beispiele.

Ihre Motivation: Eine unnötige medizinische Leistung kostet nicht nur, es schadet auch den Patienten, wenn übereifrig behandelt oder auf Verfahren blind vertraut wird. Sie plädieren dafür, nicht nach „Schema F“ vorzugehen, sondern für jeden Patienten individuell zu entscheiden.

1. Grundlos zum Kardiologen

Routine-EKG bei asymptomatischen Patienten ohne Risikofaktoren stufen Leitlinien als überflüssig ein. Aber zumindest in Kanada bleiben manche Mediziner stur. Laut Dr. Morgan und seinem Team schadet das dem Patieten nicht direkt, verschwendet aber Ressourcen. Außerdem mussten Patienten in der Folge mit einer ganzen Kaskade von Nachuntersuchungen rechnen, darunter weitere Tests oder unnötige Überweisungen zum Kardiologen „nur zur Sicherheit“.

2. Lipiduntersuchungen für die Schublade

Für eine Statintherapie ist derzeit das gesamte kardiovaskuläre Risiko entscheidend. Die Bestimmung der Lipidwerte dokumentiert nur noch den Therapieverlauf und soll die Adhärenz steigern. 86,4 % der Untersuchungen werden laut einer Studie aber ohne klinische Konsequenzen einfach zu den Akten gelegt. Um die Patienten zu motivieren reiche das Arztgespräch völlig aus, schreiben die Experten. Ein Test sei nur sinnvoll, wird das Ergebnis auch berücksichtigt.

3. Verängstigen statt Aufklären

Obwohl in den USA unter anderem thyreoidale Karzinome häufig überdiagnostiziert werden, nannten es dortige Ärzte oft „dumm“ oder „falsch“, wenn Patienten weitere Maßnahmen ablehnten. Eine Aufklärung bezüglich möglicher Überdiagnosen kommt zu kurz, ergab eine Interview-basierte Studie. Eine Krebsdiagnose mache Angst und führe zu einem Gefühl der Isolation. Die Experten für Gesundheitswesen fordern daher, dass Ärzte lernen, auf mögliche Überdiagnosen besser einzugehen.

4. Supplemente für Nephrolithen statt für Knochen

Vitamin D und Kalzium gelten vielen als bestes Mittel für stabile Knochen. Bei Bewohnern über 50 Jahre von betreuten Einrichtungen schafften es Supplemente weder allein noch in der Kombination, osteoporotische Frakturen zu verhindern. Zudem zeigt eine weitere Studie, dass sie gleichzeitig das Risiko für Nierensteine erhöhen, schreiben Dr. Morgan und Kollegen.

5. Pregabalin bei Ischialgie: Kein Effekt, dafür Nebenwirkungen

Da Gabapentinoide neuropathische Schmerzen lindern, werden sie oft bei Ischialgie eingesetzt. In einer Studie half Pregabalin, sowohl nach acht Wochen als auch einem Jahr, nicht besser als Placebo – auch bei chronischem Verlauf. Einziger Unterschied waren die durch Prega­balin verursachten Nebenwirkungen wie Benommenheit. Für die Experten steht fest: „Pregabalin sollte bei Ischialgie nicht verschrieben werden.“

6. Haloperidol für mehr Symptom­e

Bei Delir-Patienten griff man in der palliativen Pflege lange zu Neuroleptika. Auch bei Demenzpatienten wurden sie zum Sedieren genutzt. Für Dr. Morgan und Kollegen stellt eine Studie die Eignung der Wirkstoffe nun komplett infrage: Haloperidol und Risperidon verschlimmerten die Symptome bei australischen Palliativpatienten und führten zu extrapyramidalen Symptomen. Zudem gibt es für die Experten vermehrt Hinweise, dass Neuroleptika die Mortalität erhöhen können.

7. Einfach mal mehr ausgeben

OP-Roboter werden derzeit als die Innovation gehypt. Das Expertenteam schließt aus einer retrospektiven Studie: Bei Nephrektomie lohnt sich die neue Technik aber kaum. Postoperative Komplikationen reduzierten sich durch die Roboter-Assis­tenten im Vergleich zum herkömmlichen laparoskopischen Eingriff nicht. Sie dauerten im Schnitt sogar länger und sind teurer – ohne ein besseres Outcome.

8. Überempfindlicher Test Hochsensitive

Troponintests liegen bei der Herzinfarkt-Früh­erkennung erstaunlich oft daneben. Das belegt eine prospektive Studie. Bei willkürlicher Testung lag nur bei 1,6 % der Patienten der bedenkliche Wert an einem klassischen Infarkt. War der Test ärztlich angeordnet, führte ein positives Ergebnis in Großbritannien in 40 % der Fälle in die Irre. Bei den großzügigeren amerikanischen Indikations-Richtlinien waren 83,6 % der Tests nicht Herzinfarkt-spezifisch. Für Dr. Morgan und sein Team ein Grund, den Test nur mit Bedacht einzusetzen.

9. Unnötige Asthmamedikamente

Unter 613 zufällig ausgewählten kanadischen Patienten war jeder Dritte bei einer Überprüfung gar nicht auf die verschriebenen Asthma-Medikamente angewiesen. Im Gegensatz zu den vorher beschriebenen Fällen, hätten diese Patienten von häufigeren Untersuchungen, Re-Evaluationen und Dosis-Reduzierungs-Versuchen durchaus profitiert, schreiben Dr. Morgan und sein Team. Bei zwölf Patienten steckte sogar eine andere ernsthafte kardiopulmonale Krankheit hinter den Symptomen. 

Quelle: Morgan DJ et al. JAMA Intern Med 2018; online first