Der
DNA-Fragmentierungsindex beziffert den Anteil an geschädigter Spermien-DNA, wobei speziell auf Chromosomenbrüche fokussiert wird, so der Experte. Studien zeigen, dass ein hoher DFI mit einer verminderten Fertilität und auch einer höheren Rate an Fehlgeburten korreliert. Die Studienergebnisse sind allerdings nicht einheitlich, sodass sich der diagnostische Wert des DNA-Fragmentierungsindex derzeit nicht abschließend beurteilen lässt. Im Moment ist der DFI in erster Linie von wissenschaftlichem Interesse, eine routinemäßige Bestimmung im Rahmen von Fertilitätsuntersuchungen wird nicht empfohlen.
Auch Studien bei Männern mit
manifestem Diabetes weisen auf einen Zusammenhang zwischen der Stoffwechselerkrankung und einer
erhöhten Rate von DNA-Schäden in den Spermien hin. Über mögliche Gründe lässt sich derzeit nur spekulieren, gibt Prof. Paasch zu bedenken.
Fakt ist, dass im gesamten männlichen Reproduktionstrakt
„advanced glycation end products“ (AGE) zu finden sind, die maßgeblich für diabetische Folgeschäden verantwortlich sind. Infolge der Glykosylierung von Proteinen und Lipiden fallen vermehrt aggressive Sauerstoffradikale an und verursachen oxidativen Stress, was einer der Gründe für die beobachteten DNA-Schäden sein könnte.
Beeinträchtigte Motilität
Ein weiterer Aspekt der diabetesassoziierten Sub- bzw. Infertilität sind
hormonelle Disbalancen infolge der diabetischen Stoffwechsellage, die sich ebenfalls negativ auf die Spermienqualität auswirken können.
Eine 2016 publizierte Metaanalyse ergab folgendes Bild: Das Ejakulatvolumen ist bei Männern mit Diabetes reduziert, die Anzahl der Spermien scheint normal zu sein. Die
Anzahl normomorpher Spermien ist jedoch vermindert, was sich auf Basis der vorliegenden Studien allerdings nur für
Typ-1-Diabetes verifizieren ließ. Die Spermienmotilität ist laut der Metaanalyse sowohl beim Typ 1 als auch beim Typ 2 beeinträchtigt.
Die Rolle der Adipositas
Bei
Typ-2-Diabetes ist mit Hyperglykämie, Hypertonie und Adipositas oft ein ganzes Cluster von
Risikofaktoren wirksam, die sich alle auf die Samenzellproduktion niederschlagen können. Bei Männern mit pathologischem Spermiogramm ist starkes Übergewicht dreimal so häufig anzutreffen wie bei Männern mit normalem Spermiogramm, so der Experte.
Die Arbeitsgruppe um Prof. Paasch hat die mit Diabetes und Adipositas assoziierte Infertilität in verschiedenen Studien genauer unter die Lupe genommen: Die Spermienqualität wird möglicherweise durch
Adipozytokine – von Adipozyten freigesetzten Zytokinen – moduliert, deren Konzentration im Seminalplasma bei Adipositas nachweislich verändert ist.
Auch Inhibin B könnte eine Rolle spielen. Das Peptidhormon wird in den Hoden von Sertolizellen produziert und reguliert die FSH-Sekretion über ein negatives Feedback. Bei einem BMI über 30 ist Inhibin B signifikant reduziert, wie Prof. Paasch weiter ausführt. Laut einer am Leipziger EAA-Zentrum durchgeführten Studie mit mehr als 2400 Männern scheint der
Inhibin-B/FSH-Quotient ein sensitiverer
Infertilitätsmarker zu sein als FSH allein.
Und es gibt einen weiteren Mechanismus, über den Adipositas und männliche Fertilitätsstörungen verlinkt sein können: In Fettzellen wird Testosteron in Östrogen umgewandelt, was sich im Sinne eines
Hypogonadismus negativ auf die Hodenfunktion auswirken kann.
Relevanz bei Diabetes Typ 1 und Typ 2
Es scheint also eine ganze Reihe von Mechanismen zu geben, die eine Sub- bzw. Infertilität bei männlichen Diabetespatienten bedingen können, betonte der Experte. Die Forschung steht erst am Anfang, und es wird noch eine Weile dauern, bis sich die Puzzlesteine zu einem kompletten Bild zusammenfügen.
Bleibt die Frage: Was lässt sich beim
aktuellen Wissensstand für die Praxis ableiten? Erst einmal, so Prof. Paasch, sei es ganz wichtig, die Möglichkeit diabetesassoziierter Fertilitätsprobleme beim Mann überhaupt auf dem Schirm zu haben und in die Beratung einzubeziehen.
Da sich das Alter, in dem sich Paare konkret mit der Familienplanung befassen, nach hinten verschoben hat, sind diabetesassoziierte Fertilitätsstörungen nicht nur bei Typ 1 relevant. Auch bei Männern mit Typ-2-Diabetes sollte das Thema gegebenenfalls angesprochen werden.
Präventiv greifen mit Blick auf die männliche Fertilität die
üblichen Maßnahmen des Diabetesmanagements: gute Blutzuckereinstellung, Korrektur eines zu hohen Blutdrucks, Abbau von Übergewicht. Bei der medikamentösen Therapie ist zu beachten, dass Betablocker und Calcium-Antagonisten die Anzahl und Qualität der Spermienzahl negativ beeinflussen können.
Männer mit Diabetes, die sich wegen unerfülltem Kinderwunsch vorstellen, sollten sich immer
an einen Andrologen wenden, rät Prof. Paasch. Deutschlandweit gibt es etwa 1000 Ärzte mit dieser Zusatzbezeichnung.
Wichtig ist ein qualitätsgesichertes Vorgehen bei der Samenanalyse. Das
Spermiogramm ist gemäß dem „
WHO-Laborhandbuch zur Untersuchung und Aufarbeitung des menschlichen Ejakulats“ zu erstellen, das sehr präzise jeden einzelnen Schritt der Aufbereitung und Auswertung definiert. Ist die Spermaqualität eingeschränkt, beginnt die Ursachenforschung.