Vier Diagnosekriterien weisen den Weg Wie man ein CRPS erkennt
Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) ist eine klinische Diagnose. Seit 2010 wird sie anhand der Budapest-Kriterien gestellt. Diese lassen jedoch Spielraum für Überdiagnosen. Daher hat man sie 2021 im Valencia-Konsensus zum Teil konkretisiert, erklärte Prof. Dr. Janne Gierthmühlen von der Interdisziplinären Schmerz- und Palliativambulanz an der Universitätsklinik Kiel. Die Kollegin stellte die vier gültigen CRPS-Diagnosekriterien vor. Die Bildgebung kann zusätzlich sinnvoll sein (s. Kasten).
Additive Bildgebung kann bei der Diagnosestellung helfen
Unterstützung für die klinische CRPS-Diagnose kann die 3-Phasen-Skelettszintigrafie liefern. 16 Wochen nach dem Trauma durchgeführt lagen Spezifität und positiver Vorhersagewert in einer Studie mit 158 Patientinnen und Patienten bei 100 %. Die Sensitivität des Verfahrens erreichte dagegen nur 14 %. Eine negative Szintigrafie schließt das CRPS nicht aus, warnte Prof. Gierthmühlen. Sie riet dazu, die 3-Phasen-Skelettszintigrafie additiv durchzuführen. Auch für spätere Gutachten könne der Befund hilfreich sein. Als Screeningverfahren sei die Methode aber ungeeignet.
Das erste Kriterium definiert, dass der Schmerz des Betroffenen anhaltend und unverhältnismäßig zum vorangegangenen Trauma zu sein hat. Es muss außerdem ein zeitlicher Zusammenhang bestehen. Machen sich erste Symptome erst ein halbes Jahr nach der Verletzung bemerkbar, ist dies nicht mehr der Fall. Schon drei Monate sind da zu viel, betonte die Kollegin (s. Kasten).
Offizielle Diagnose erst nach drei Monaten
Die ICD-11 listet das CRPS unter chronischen primären Schmerz. Um als solcher zu gelten, muss er per definitionem seit mindestens drei Monaten bestehen. Ein CRPS kann „offiziell“ also erst drei Monate nach dem Trauma diagnostiziert werden. Das bedeutet aber nicht, dass man erst nach drei Monaten therapieren darf, sagte Prof. Gierthmühlen. Die Behandlung könne bereits bei klinischem Verdacht beginnen.
Das Zweite zielt auf die anamnestischen Angaben der Kranken. Sie gelten als genauso relevant wie die klinischen Zeichen (s. u.). Welche Symptome vorliegen, soll gemäß des Valencia-Konsensus systematisch erfasst werden, d. h. man muss jedes einzelne abfragen.
Für ein CRPS spricht, wenn mindestens ein Symptom aus wenigstens drei der folgenden vier Kategorien vorliegt oder vorgelegen hat:
- sensorisch: Hyperalgesie (Schmerz wird stärker oder länger empfunden als in einem gesunden Areal), Allodynie (Schmerz durch einen normalerweise nicht schmerzhaften Reiz)
- vasomotorisch: Temperaturasymmetrien, veränderte oder asymmetrische Hautfarbe
- sudomotorisch: veränderte oder asymmetrische lokale Schwitzeigenschaften, Ödeme
- motorisch/trophisch: motorische Dysfunktionen (Schwäche, Tremor, Dystonie), vermindertes Bewegungsausmaß, trophische Veränderungen, erkennbar an Haaren, Nägeln und Haut
Temperaturasymmetrie liegt über 1 Grad Celsius
Kriterium drei umfasst die klinischen Zeichen, die bei der ärztlichen Untersuchung auffallen. Es gelten die in der Anamnese definierten vier Kategorien, wobei im Unterpunkt vasomotorisch die erforderliche Temperaturdifferenz auf > 1 Grad Celsius festgelegt wurde. Den Unterschied sollte man fühlen können, so die Neurologin. Aus mindestens zwei Kategorien muss jeweils mindestens ein Zeichen nachweisbar sein.
Relevanz hat immer der Vergleich mit der Gegenseite, bei Verdacht auf ein bilaterales CRPS erfolgt der Vergleich mit einer nicht betroffenen Extremität, so Prof. Gierthmühlen. Ein Überspringen des CRPS auf eine andere Extremität wird von Kranken häufig beschrieben, doch auch dann gilt: Die Diagnose darf nur gestellt werden, wenn auch für die weitere Extremität alle Kriterien erfüllt sind.
Typisch für ein CRPS an der oberen Extremität ist die Druckschmerzhyperalgesie der kleinen Fingergelenke. Um sie auszulösen, genügt ein Druck von < 100 g/cm2. Das entspricht etwa dem, was nötig ist, um das eigene Nagelbett unter Druck weiß werden zu lassen.
Der vierte Punkt – Differenzialdiagnosen müssen ausgeschlossen sein – wird im klinischen Alltag häufig übersehen, kritisierte die Kollegin. Sie berichtete von einer 27-jährigen Frau, die aufgrund einer tiefen Beinvenenthrombose und rezidivierender Lungenembolien antikoaguliert war. Nach einem Pferdetritt entwickelte sie am rechten Unterarm ein massives Hämatom, das operativ ausgeräumt werden musste. Dabei erfolgten u. a. eine Karpaltunnelspaltung sowie eine Neurolyse.
Anschließend entwickelte die Patientin brennende, einschießende Schmerzen und Ödeme, die sich auf den gesamten Unterarm ausdehnten und progredient waren. Auf die Therapie mit Gabapentin, Tapentadol und Prednisolon unter dem Verdacht auf ein CRPS sprachen sie nicht an.
Bei der klinischen Untersuchung zeigten sich die Hand der Frau als auch ihr Unterarm gerötet und geschwollen, im gesamten Bereich ließen sich eine mechanische Allodynie und Hyperalgesie nachweisen. Die Behaarung am Unterarm war leicht reduziert und der aktive Bewegungsumfang eingeschränkt. In der Zusammenschau der Symptome und klinischen Zeichen hätte man also die Diagnose CRPS stellen können. Allerdings untersuchten die Behandelnden den Arm der Frau auch weiter proximal und fanden dort deutliche Schnürfurchen. Erst distal davon begann das Ödem. Es bestand somit der Verdacht auf eine artifizielle Störung.
Quelle: Deutscher Schmerzkongress 2024