Schmerzfreiheit So bringt man Patienten mit CRPS zurück ins Leben 

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Die Patienten sollten daher während der gesamten Behandlung auf psychoaktive Substanzen einschließlich Alkohol verzichten. Die Patienten sollten daher während der gesamten Behandlung auf psychoaktive Substanzen einschließlich Alkohol verzichten. © Photographee.eu - stock.adobe.com

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom, kurz CRPS, wird oft mit Analgetika behandelt. Die jedoch halten den Heilungsprozess eher auf, als dass sie ihn voranbringen. Die Genesung gelingt erst nach Absetzen dieser Medikamente und nur mittels einer fein abgestimmten und individuellen Therapie.

Wieder ihren Hobbies und ihrer Arbeit nachgehen, soziale Kontakte pflegen, ein selbstbestimmtes Leben führen – das ist es, was sich Patienten mit komplexem regionalem Schmerzsyndrom von der Therapie erhoffen. Doch bislang fokussiert die Behandlung zu oft auf die Schmerzreduktion mit Analgetika, schreiben Dr. Bernhard­ Kügelgen­ und Cecilija­ Kügelgen­ vom MVZ Koblenz. Dies stehe dem eigentlichen Behandlungsziel ganz und gar entgegen und führe häufig zu immer höheren Opioddosen. 

Erst nach Absetzen aller psychotropen Medikamente kann durch schmerzpsychologische sowie physio- und ergotherapeutische Verfahren die Beweglichkeit verbessert und die Funktion der betroffenen Extremität wiederhergestellt werden, erläutern die beiden Autoren. Denn zum einen kann es unter Schmerzmitteln wie Opioiden zur Therapie­resistenz kommen. Zum anderen schränken die Nebenwirkungen der Medikamente die Chance der Erkrankten auf ein annähernd normales Leben noch weiter ein. Die Patienten sollten daher während der gesamten Behandlung auf psychoaktive Substanzen einschließlich Alkohol verzichten, so lautet ihre klare Empfehlung.

Der Analgetikaentzug sollte abrupt und nicht sukzessive erfolgen

Über die zugrunde liegenden Pathomechanismen ist bislang wenig bekannt. Erwiesen ist zumindest, dass es beim CRPS zu einer kortikalen Reorganisation kommt. Funktionelle MRT-Untersuchungen haben gezeigt, dass die Gehirnareale, in denen die betroffene Extremität repräsentiert ist, schrumpfen. Vor diesem Hintergrund ist deren längere Ruhigstellung kontraproduktiv, betonen die beiden Experten.

Absetzen der Medikamente

Im gesamten Behandlungsverlauf, insbesondere aber vor dem Entzug der Schmerzmedikamente, sind ausführliche Aufklärungsgespräche mit dem Patienten notwendig. Der Entzug soll den Autoren zufolge wie in der Suchtmedizin abrupt erfolgen, da das sukzessive Absetzen zu lange dauere und keine Vorteile biete. Dabei ist eine psychotherapeutische und psychopharmakologische Begleitung zwingend erforderlich.

Betablocker oder schwachpotente Neuroleptika sind geeignet, körperliche Entzugserscheinungen wie vegetative Entgleisungen, Unruhe, Schlafstörungen und eine vorübergehende Verschlimmerung der Schmerzen zu dämpfen. Mit psychischen Entzugserscheinungen ist, anders als bei Drogen- oder Alkoholabhängigen, nicht zu rechnen, so die beiden Experten. Ihrer Erfahrung nach ist der Entzug in der Regel innerhalb von zwölf Tagen vollzogen. Eine Substitutionsbehandlung ist für sie nur Mittel zweiter Wahl.

Psychologische Therapie

Ziel der psychologischen Schmerzbehandlung ist, dass die Patienten ihre Selbstwirksamkeit auf das Schmerzerleben erkennen. Sie sollen den Schmerz nicht als unabänderliches Schicksal oder gar als Strafe empfinden, vielmehr als Herausforderung, schreiben die Autoren. Hilfreich ist dabei das Abspeichern von angenehmen Erlebnissen, die im Fall einer Krise abgerufen werden können. Ähnliche Effekte haben Entspannungsübungen wie die progressive Muskelrelaxation, Aufmerksamkeitslenkung, Fantasie­reisen, Autosuggestion, Meiden dysfunktionaler Gedanken und Genuss­training.

Physikalische Methoden

Kryo- und Elektrotherapie stellen nur einen Teil der physikalischen Therapieoptionen bei Schmerzpatienten dar. Maßnahmen, die die Betroffenen zu Hause anwenden können, sind Wechselduschen und – insbesondere bei CRPS – Bäder mit auf- bzw. absteigenden Wassertemperaturen. Zur Kräftigung und zur Beruhigung des vegetativen Nervensystems sind zudem ein geregelter Tagesablauf, ausreichend erholsamer Schlaf und tägliche Bewegung ratsam.

Um passive Einschränkungen in den Gelenken zu lösen und so auch die aktive Beweglichkeit zu verbessern, empfiehlt sich eine manualmedizinische Therapie der betroffenen und der benachbarten Gelenke, samt Triggerpunktbehandlung. Entwickeln CRPS-Patienten Symptome, die einem Neglect-Syndrom ähneln, erfolgt ein Wahrnehmungstraining. Dabei sollen die Betroffenen das vernachlässigte Körperteil bewusst betrachten, berühren und im Rahmen einer sogenannten Forced-Use-Therapie bewegen und gebrauchen.

Etwa zwei bis vier Wochen nach dem Medikamentenentzug ist mithilfe dieser Maßnahmen eine Besserung der Beweglichkeit und damit auch der Schmerzen möglich. Ab diesem Punkt kann eine Ergotherapie, eine medizinische Trainingstherapie und ggf. ein berufsspezifisches Training starten.

Die Dauer der Therapie bei CRPS hängt von individuellen Faktoren des Patienten sowie von Erkrankungsdauer und der Ausprägung der Symptome ab. Für den körperlichen Medikamentenentzug muss man etwa drei Wochen veranschlagen, so die beiden Autoren. Die Behandlung eines CRPS der Hand nimmt ihnen zufolge für gewöhnlich sechs bis zehn Wochen in Anspruch, bei einem Fuß sind es acht bis zehn Wochen.

Quelle: Kügelgen B, Kügelgen C. Schmerzmed 2023; 39: 42-51; DOI: 10.1007/s00940-023-4265-3