Nicht mehr klein, noch nicht groß Wie man Jugendlichen in der Hausarztpraxis gerecht werden kann
Schon zwischen dem 11. und 14. Lebensjahr verteilen sich Heranwachsende im Krankheitsfall etwa hälftig auf kinder- und hausärztliche Praxen. Danach schlägt das Pendel klar in Richtung Allgemeinmedizin aus. Schwierig gestaltet sich oft die Transition von chronisch kranken Kindern und Jugendlichen. Untersuchungen zufolge erlebt mehr als die Hälfte aller von einem Diabetes Betroffenen den Übergang als „problematisch und unzureichend“, als „nicht zufriedenstellend“ beschreibt ihn ein ebenso großer Anteil von Rheumakranken. 17 % der Patientinnen und Patienten mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung zeigen sich schon mit der Vorbereitung des Wechsels (sehr) unzufrieden.
Folgende Wünsche geben chronisch Kranke für die Transition an:
- Unterlagen für die neue Praxis zusammenstellen
- ausführlicher Übergabebrief
- frühzeitige Infos über den notwendigen Wechsel
- persönliche Kontaktaufnahme vom vorherigen zum neuen Behandelnden
- mehrere Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte, die für den Wechsel infrage kommen
Nach dem Wechsel in die hausärztliche Praxis ist vonseiten der Ärztin oder des Arztes Einfühlungsvermögen gefragt. „Jugendliche sind anstrengend“, betonte Lisa Degener, Allgemeinmedizinerin aus Altenberge. Doch man sollte immer daran denken, dass sich ihr Gehirn in der Neustrukturierung befindet. Durch den Umbau neuronaler Netzwerke werden die Teenies launisch und gereizt. „Elfjährige büßen quasi im Sturzflug ihr soziales Gespür ein.“ Die Folge: Unsicherheit und Verwirrung in emotionalen Situationen meist gepaart mit mangelndem Selbstwertgefühl und der Idee, lebensuntauglich zu sein.
30–40 % der J1-Untersuchungen, die im Alter zwischen 12 und 14 Jahren anstehen, finden bereits in allgemeinmedizinischen Praxen statt. „Es ist die erste Untersuchung, bei der die Eltern nicht mehr dabei sein müssen“, erklärte die Referentin. Von den Ärztinnen und Ärzten ist dabei besonderes Feingefühl gefragt. Zunächst kann Scham, z. B. durch das Entkleiden, den körperlichen Check beeinflussen. „Zwingen Sie die Jugendlichen bei der Untersuchung zu nichts“, mahnte die Kollegin. Notfalls geht man mit dem Stethoskop unter das T-Shirt oder mit den Händen unter den Pulli, um abzuhören und abzutasten. Blutentnahmen sind nur bei anamnestischen Auffälligkeiten vorgesehen.
Zudem können die in die J1 integrierten Fragen zu Problemen in Schule und Familie oder mit dem Gewicht das Gespräch schnell ins Stocken geraten lassen. Wichtig ist es, den jungen Patientinnen und Patienten klarzumachen, dass alles, was bei der J1 gesagt wird, unter die ärztliche Schweigepflicht fällt, obwohl sie noch nicht volljährig sind. Ausnahme bilden Befunde, die auf eine Lebensgefahr hindeuten.
Hinzu kommen viele intra- und interpersonelle Schwierigkeiten. Die Jugendlichen müssen ihre Identität finden, sich langsam vom Elternhaus lösen und mit einer ganzen Reihe an Veränderungen – sozial, emotional, biologisch, kognitiv – sowie mit einer neuen Körperwahrnehmung klarkommen.
Ein Fünftel aller chronisch kranken Kinder und Jugendlichen hat gesundheitsbedingt Einschränkungen bei Dingen, die gesunde Gleichaltrige tun können. Mit der medizinischen Betreuung alleine ist es also meist nicht getan. Hausärztinnen und -ärzte tun daher gut daran, sich ausreichend zu vernetzen. Hilfreich sind z.B. Kontakte zu spezialisierten psychotherapeutischen Praxen, schulpsychologischen Beratungsstellen sowie Drogen- und Suchtberatungen.
Quelle: practica 2024