COVID-19 Wie sehr Corona das Denken beeinflusst
Zwei Wissensschaftlerteams aus England und Norwegen haben sich mit den Geistesleistungen nach COVID-19 beschäftigt. In England wurden 800.000 Mitglieder der REACT*-Kohorte zur Teilnahme an einer Beobachtungsstudie eingeladen, 112.946 machten mit. Ihre kognitiven Fähigkeiten wurden online getestet. Patienten, deren COVID-Symptome innerhalb von vier oder zwölf Wochen verschwunden waren, hatten im Vergleich zu Nicht-Infizierten in der Kontrollgruppe leichte kognitive Defizite. Diese entsprachen einer Abnahme des Intelligenzquotienten (IQ) um drei Punkte, so Dr. Adam Hampshire vom Imperial College London und Koautoren.
Wer zu Pandemiebeginn krank wurde, hat schlechtere Karten
Bei länger anhaltenden Beschwerden zeigten sich stärkere Einbußen, analog einer IQ-Reduktion um sechs Punkte. Auch der Schweregrad der Infektionskrankheit hatte Einfluss: Ein Bedarf für eine stationäre Therapie ging mit einer deutlich verschlechterten Kognition einher (vergleichbar mit einem Verlust von neun IQ-Punkten). Betroffen waren vor allem Gedächtnis, logisches Denken und Exekutivfunktionen.
Die Virusvariante spielte ebenfalls eine Rolle: Menschen, die sich während der Anfangsphase der Pandemie infiziert hatten, als das Wildtypvirus oder B.1.1.7 (Alpha-Variante) dominierten, hatten die stärksten Defizite. Fraglich bleibt, wie lange kognitive Einschränkungen nach einer SARS-CoV-2-Infektion persistieren und welche funktionelle Relevanz diese haben, kommentieren Dr. Ziyad Al-Aly vom Veterans Affairs St Louis Health Care System und Dr.Clifford Rosen.
Eine Forschergruppe aus Norwegen wertete die Daten von 111.992 Teilnehmern einer prospektiven nationalen Kohortenstudie aus. Das Erinnerungsvermögen der Patienten wurde mittels eines Everyday Memory Questionnaire (EMQ) zu verschiedenen Zeitpunkten vor und bis zu 36 Monate nach Tests zum Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion erfasst. 57.319 Teilnehmer wurden positiv getestet, berichten Dr. Merete Ellingjord-Dale von der Uniklinik Oslo und Kollegen. Diejenigen mit nachgewiesener Infektion hatten im Mittel zu jedem Zeitpunkt nach dem Coronatest mehr EMQ-Punkte und damit mehr Gedächtnisprobleme als diejenigen mit negativem Ergebnis. Vor dem Coronatest unterschieden sich die Resultate zwischen den beiden Gruppen nicht.
Was bedeuten die Studienergebnisse nun für die Praxis? Ein spezielles Verfahren zum Nachweis kognitiver Einschränkungen bei Long-COVID-Patienten steht bisher nicht zur Verfügung, schreiben Emma Ladds vom Nuffield Department of Primary Care Health Sciences der Universität Oxford und Kollegen. Wichtig sei zunächst der Ausschluss anderer Erkrankungen, die einer notfallmäßigen Therapie bedürfen. Eine neuropsychologische Untersuchung empfiehlt das britische National Institute for Health and Care Excellence nach sechs Monaten, wenn sich die Symptome nicht gebessert oder sogar verschlechtert haben. Dazu eignen sich einfache Verfahren wie das Montreal Cognitive Assessment (MoCA). Zu beachten ist, dass manche Menschen mit gutem Ausgangszustand trotz mentaler Verschlechterung normale Werte erzielen.
Viele Patienten haben bereits eine Odyssee auf der Suche nach Therapiemöglichkeiten hinter sich. Sie sind froh über einen Hausarzt, der sie empathisch und kontinuierlich begleitet.
Die Symptome fluktuieren häufig
Wichtig ist eine Unterstützung bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz, der die meist fluktuierenden Symptome oft im Wege stehen. Etwaige Komorbiditäten wie Diabetes und Hypertonie müssen mitbehandelt werden, nicht zuletzt, weil das eventuell auch die kognitive Funktion bessert.
Und wie ist die Prognose bei kognitiven Defiziten nach einer SARS-CoV-2-Infektion? Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Beschwerden in der Regel bessern, es aber bis zur völligen Rückbildung ein Jahr dauern kann. Halten die Symptome länger als zwölf Monate an, sind die Chancen auf Heilung deutlich schlechter. Patienten mit schwerem, progredientem oder persistierendem Befund sollten zum Spezialisten für Long-COVID oder kognitive Störungen überwiesen werden. Auch spezielle Rehabilitationseinrichtungen können Betroffenen helfen.
* Real-Time Assessment of Community Transmission
Quellen:
1. Hampshire A et al. N Engl Med 2024; 390: 806-818; DOI: 10.1056/NEJMoa2311330
2. Al-Aly Ziyad, Rosen CJ. N Engl J Med 2024; 390: 858-860; DOI: 10.1056/NEJMe2400189
3. Ellingjord-Dale M et al. N Engl J Med 2024; 390: 863-865; DOI: 10.1056/NEJMc2311200
4. Ladds E et al. BMJ 2024; 384: e075387; DOI: 10.1136/bmj-2023-075387