Ist das was Rheumatisches? Wie Sie Gelenkschmerzen richtig interpretieren
Wenn es um Schmerzen im Bewegungsapparat geht, helfen folgende Fakten bei der Einordnung:
- Arthrotische Veränderungen sind sehr häufig. So zeigen in der Altersgruppe der über 55-Jährigen 67 % der Frauen und 55 % der Männer im Röntgenbild Zeichen einer Arthrose der Fingergelenke – wobei diese nicht immer mit Beschwerden einhergehen.
- Ziemlich weit verbreitet sind auch Schmerzsyndrome: Schon allein das Fibromyalgiesyndrom weist eine Prävalenz von 3–6 % auf.
- Die Prävalenz aller entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (ERE) zusammen wird derzeit mit 2,2–3 % angegeben. Spitzenreiter ist die rheumatoide Arthritis mit einer Prävalenz von 0,42–1,85 %.
Bereits mit einer sorgfältigen Anamnese können Sie wichtige Hinweise auf die Schmerzursache gewinnen, schreiben Prof. Dr. Frank Moosig und Prof. Dr. Julia Holle vom Rheumazentrum Schleswig-Holstein Mitte, Neumünster und Kiel. Spontane Schmerzen weisen im Unterschied zu belastungsabhängigen Schmerzen auf eine Entzündung hin. Eine starke morgendliche Betonung der Schmerzen und eine länger anhaltende Morgensteifigkeit (> 30 Minuten) gelten ebenfalls als Indizien für eine ERE. Hält die Morgensteifigkeit nur kurz an und wiederholt sich im Lauf des Tages nach Ruhephasen („Anlaufschmerz, Anlaufsteifigkeit“), spricht das eher für degenerative Probleme.
Lage der betroffenen Gelenke gibt erste Hinweise
Achten Sie auch darauf, welche Gelenke betroffen sind. Die Betonung der distalen Interphalangealgelenke (DIP), der Daumensattelgelenke und der Großzehengrundgelenke lässt mit höherer Wahrscheinlichkeit auf eine Arthrose schließen. Der Befall „im Strahl“ (alle Gelenke eines Fingers, oft mit Schwellung des gesamten Fingers) findet sich häufig bei Psoriasisarthritis. Sind die Fingergrundgelenke (Metacarpophalangealgelenke) betroffen, liegt der Verdacht auf eine rheumatoide Arthritis nahe.
Chronische Gelenkschmerzen (mehr als sechs Wochen) können zwar bei Arthrose und bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen auftreten – doch steigt die Wahrscheinlichkeit für Letztere mit zunehmender Beschwerdedauer. Auch die Familienanamnese kann weiterhelfen, denn bei rheumatoider Arthritis ist eine genetische Komponente bekannt. Wenn Betroffene die Schmerzen gar nicht genau lokalisieren können („Eigentlich tut mir alles weh“), sollten Sie an ein Schmerzsyndrom wie die Fibromyalgie denken. Fragen Sie nach, was gegen die Beschwerden hilft. Denn Menschen mit Arthrose oder Fibromyalgiesyndrom empfinden Wärme oft als angenehm, während ERE-Betroffene ihre Gelenkschmerzen eher durch Kühlung lindern.
Achten Sie bei der körperlichen Untersuchung der Gelenke auf die klassischen Entzündungszeichen (Schwellung, Rötung und Überwärmung). Derbe, eher schmerzarme Schwellungen weisen auf arthrotische Veränderungen hin.
Auch Gelenkigkeit und Hautbild begutachten
Lassen sich Knie- und Ellbogengelenke überstrecken, liegt vermutlich ein Hypermobilitätssyndrom vor, das mit Gelenkschmerzen einhergehen kann, aber nicht zum rheumatischen Formenkreis gehört. Schauen Sie sich auch die Haut genau an und achten Sie auf Veränderungen wie Psoriasis, Rheumaknoten oder Schmetterlingserythem.
Bei Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung sollten Sie als Hausärztin oder Hausarzt eine Labordiagnostik durchführen und initial folgende Werte bestimmen:
- Differenzialblutbild (Anämie, Leukozytose oder Leukopenie sowie Thrombopenie können auf ERE hinweisen)
- CRP (bei ERE meist erhöht)
- BSG (bei ERE beschleunigt)
- Rheumafaktor (bei ERE häufig positiv)
- Antikörper gegen zyklisch citrullinierte Proteine (CCP-AK; bei ERE oft positiv)
- antinukleäre Antikörper (ANA; eignen sich als Suchtest – bei positivem Ergebnis ist eine weitere Differenzierung sinnvoll)
Diese Laborwerte sind hilfreich, sollten aber vorsichtig interpretiert werden.
Das einfachste und am besten verfügbare bildgebende Verfahren bei der Diagnostik von Gelenkschmerzen ist die Arthrosonografie, Konventionelle Röntgenaufnahmen helfen in der Differenzialdiagnose von Gelenkentzündungen kaum weiter. Viel aufschlussreicher als Röntgenaufnahmen ist die MRT, mit der sich schon frühe erosive Veränderungen und eine Synovitis nachweisen lassen, insbesondere wenn Kontrastmittel verwendet wird.
Sollten Sie in der Hausarztpraxis Glukokortikoide einsetzen? Wenn keine entzündliche Serologie vorliegt, raten Prof. Moosig und Prof. Holle zu Zurückhaltung. Ist eine Entzündung nachweisbar und besteht der Verdacht auf eine Polymyalgia rheumatica oder eine Riesenzellarteriitis, sollten Sie dagegen zügig Glukokortikoide verabreichen.
Quelle: Moosig F, Holle JU. Dtsch Med Wochenschr 2024; 149: 1163-1173; DOI: 10.1055/a-2329-6673