Glymphatisches System Zerebrale Müllabfuhr braucht Schlaf
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Der Mensch „verschläft“ etwa ein Drittel seines Lebens. Und dafür gibt es gute Gründe, wie Professor Dr. Anthony Komaroff, Brigham and Women’s Hospital, Boston, ausfüht. Zum einen festigen sich Erinnerungen und neu gelernte Informationen. Zum anderen arbeitet die „zerebrale Müllabfuhr“ bevorzugt im Schlaf – egal, ob es sich um die Nachtruhe oder ein Nickerchen am Mittag handelt.
Ein ausgeklügeltes Abflusssystem
Da es im Gehirn selbst kein Lymphsystem gibt, müssen zelluläre Abfälle anders entfernt werden. Wie genau, entdeckten Wissenschaftler erst im Jahr 2012: Die Drainage erfolgt über das glymphatische System. Seine Gefäße kann man sich als Schläuche vorstellen, die die Hirngefäße umgeben. In ihrer Außenwand bilden spezialisierte Astrozyten zahlreiche Wasserkanäle (Aquaporine).
Frischer Liquor aus dem Plexus chorioideus fließt über den Subarachnoidalraum zunächst entlang der Arterien und nutzt die Aquaporine, um sich weiträumig im Hirnparenchym zu verteilen. Dabei vermischt er sich mit Abfallprodukten aus dem Interstitium. Die Flüssigkeit gelangt schließlich in den perivenösen Teil des glymphatischen Systems und wird im weiteren Verlauf über die zervikalen Lymphgefäße in den systemischen Kreislauf ausgeschwemmt.
Das glymphatische System sorgt für den Abtransport von toxischen Substanzen. Bis zu 60 % der großen Proteine und gelösten Stoffe werden auf diesem Weg entfernt, darunter Laktat, β-Amyloid und Tau-Protein. Die Letztgenannten spielen bekanntlich eine entscheidende Rolle in der Alzheimer-Pathogenese. Auch die potenziell neurotoxischen kleinen, löslichen Formen von β-Amyloid und Tau verschwinden über das glymphatische System.
Auch Hypertonie und Diabetes schränken die Funktion ein
Neuronen und Gliazellen stellen ihren Müll während des Schlafes quasi vor die Haustür: Der Anteil an interstitieller Flüssigkeit nimmt um 60 % zu. Schlafentzug seinerseits schränkt den Abtransport ein. Bereits eine schlaflose Nacht reicht aus, um die β-Amyloid-Last in Hippocampus und Thalamus nachweislich zu erhöhen. Prof. Komaroff zufolge könnte die Funktionsstörung des glymphatischen Systems somit die Assoziation zwischen chronischem Schlafmangel und diversen neurologischen Erkrankungen, z.B. Alzheimer und Parkinson, erklären. Es gibt aber noch weitere Faktoren, die der zerebralen Müllabfuhr ihre Arbeit erschweren. So lässt deren Leistung mit zunehmendem Alter nach. Die Aktivität ist ebenso bei Übergewicht, sitzendem Lebensstil und gestörtem zirkadianem Rhythmus (z.B. Schichtarbeit) eingeschränkt. Darüber hinaus beeinflussen Schädel-Hirn-Traumata, ein erhöhter intrakranieller Druck, Schlaganfälle sowie eine zerebrovaskuläre Atherosklerose den Fluss. Zu guter Letzt wirken sich Krankheiten wie Schlafapnoe, Hypertonie und Diabetes mellitus negativ aus, erklärt der Experte. Forschungsbedarf sieht er vor allem im Hinblick auf mögliche Therapien, die die Funktion des glymphatischen Systems verbessern können.Quelle: Komaroff AL. JAMA 2021; 325: 2153-2155; DOI: 10.1001/jama.2021.5631