Zu Tode hungern lassen: Wie ist der freiwillige Nahrungsverzicht zu bewerten?
Aus ethischer Sicht lässt sich der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit als Start in den Selbstmord betrachten, erklärte Professor Dr. Giovanni Maio, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Freiburg. Denn die Betroffenen hören nicht auf zu essen und trinken, weil sie sterben, sondern um zu sterben. Doch im Gegensatz zum aktiv begangenen Suizid fehlt die Kontrolle über den Ablauf und den Zeitpunkt des Todes. Und: Die Entscheidung kann revidiert werden.
Den Prozess mitzuerleben, verlangt den Angehörigen und dem medizinischen Personal viel ab. So kann man z.B. Folgesymptome wie ein Delir behandeln, darf aber nicht zwangsernähren. Ist das gleichzusetzen mit einem assistierten Suizid?
Juristisch gesehen nein, sagte Professor Dr. Josef Franz Lindner vom Institut für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht der Universität Augsburg. Der freiwillige Verzicht ist kein Suizid, denn dabei handelt es sich um eine „punktuelle Handlung, die in einem absehbaren Zeitraum bzw. in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang die Todesfolge in sich trägt“. Ärztliche Begleiter helfen nicht dabei, sie stellen vielmehr Maßnahmen zur Verfügung, um damit verbundene Leiden zu lindern.
Nach durchschnittlich 15 Tagen tritt der Tod ein
Professor Dr. Stephan Sahm von der Medizinischen Klinik I am Ketteler Krankenhaus in Offenbach stimmte dem aus ärztlicher Sicht zu. „Für uns gleicht der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit einem Behandlungsveto, das wir respektieren müssen.“ Fast immer entscheiden sich Menschen dafür, die nur noch eine Lebenserwartung von wenigen Wochen haben, multimorbide oder hochbetagt sind. Ohne Vorliegen solcher Faktoren ist der freiwillige Verzicht praktisch nicht zu beobachten. Nach der Einschätzung von Pflegenden geht der damit verbundene Sterbeprozess nur mit wenigen Symptomen einher, nach durchschnittlich 15 Tagen tritt dann der Tod ein.
Quelle: Viszeralmedizin 2019