Eiweißarme Ernährung Zu wenig essenzielle Aminosäuren
Der Trendreport Ernährung 2023 von Nutrition-Hub in Kooperation mit dem Bundeszentrum für Ernährung (BZfE,1) stellt die 10 wichtigsten Ernährungstrends dar. Befragt wurden hierfür 170 Expertinnen und Experten aus dem Ernährungssektor. Diese schätzen eine nachhaltige und klimafreundliche Ernährung sowie eine pflanzenbetonte Kost (flexitarisch) als Top-Entwicklungen für die Allgemeinbevölkerung ein.
Eine flexitarische Ernährung ist schon lange die erste Wahl für Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion, um die tägliche Eiweißaufnahme zu verringern. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Zahl der Veröffentlichungen zu einer pflanzenbetonten Ernährung bei Menschen mit chronischen Krankheiten stetig gestiegen. Eine PubMed-Suche mit dem Begriff „pflanzliche Ernährung“ ergab einen fast 8-fachen Anstieg der jährlichen Veröffentlichungsrate von 2000 bis 2021 (157 Veröffentlichun-gen im Jahr 2000 und 1228 Veröffentlichungen im Jahr 2021). Trotz der zunehmenden Beliebtheit pflanzlicher Lebensmittel gibt es keinen Konsens über die Bedeutung des Begriffs „pflanzlich“. Es gibt verschiedene Formen der pflanzlichen Ernährung, vom pflanzenreichen Allesfresser (omnivor) über ovo-lakto-vegetarisch (ohne Fleisch und Meeresfrüchte, aber mit Eiern und Milchprodukten) bis hin zu vegan (ohne alle tierischen Produkte).
Pflanzliche Ernährung
- Omnivor: pflanzenreicher Allesfresser
- Ovo-lakto-vegetarisch: Ohne Fleisch und Meeresfrüchte, aber mit Eiern und Milchprodukten
- Vegan: ohne alle tierischen Produkte
Gibt es eine überlegene Diätform?
Obwohl die potenziellen Gesundheits- und Umweltvorteile einer pflanzlichen Ernährung schon vielfach erörtert wurden, ist die Frage, ob eine ovo-laktovegetarische Ernährung und insbesondere eine vegane LPD (low-protein diet) ernährungsphysiologisch angemessen ist, nicht ausreichend untersucht worden. Dies auch vor dem Hintergrund der Frage, ob eine pflanzenbetonte Ernährung ausreichende Mengen an essentiellen Mikro- und Makronährstoffen liefert, insbesondere wenn die Proteinmenge bewusst reduziert wird. Tallmann et al. (2) gingen dieser Frage nach und wendeten einen Modellierungsansatz an, um drei verschiedene Diäten (s.o.) mit 7 verschiedenen Proteinmengen (0,5-0,8 g/Tag und 1-1,2 g/Tag) zu bewerten. Diese 3 Diäten wurden in den Eiweißgruppen 0,5-0,8 g/kg/Tag mit den Ergebnissen bereits veröffentlichter Studien zu speziellen, pflanzlich dominierten, eiweißarmen Diäten verglichen. Bei Low-PLADO stammen mindestens 50 % des Proteins aus pflanzlichen Quellen, bei High- PLADO 70 % (3).
Gestaltung der Menüs für CKD-Patienten
Unter Verwendung von Beispielmenüs aus dem Nutrition Care Manual (NCM) der Academy of Nutrition and Dietetics und nierenfreundlichen Rezepten von der Website der National Kidney Foundation wurden 3-Tages-Mahlzeitenpläne für alle 3 Diätformen entwickelt, die Proteinmengen von 0,5-0,8 g für CKD-Stadien 2-4 und 1,0-1,2 g/kg/Tag für Dialysepatienten vorsahen. Die Speisepläne wurden so gestaltet, dass sie für die omnivoren und ovo-lakto-vegetarischen Ernährungsformen mindestens 50 % Eiweiß mit hohem biologischem Wert (tierisches Eiweiß) enthielten. Die Mahlzeitenpläne unterschieden sich nur in der Menge und der Quelle des Proteins, die von der Art der Diät abhingen. Die Grundnahrungsmittel waren sehr ähnlich und in der Regel in allen Diäten identisch. Zusätzlich wurden Menüs aus den beiden PLADO- Diätvarianten für eine Proteinzufuhr von 0,5 bis 0,8 g/kg/Tag geplant. Das Referenzkörpergewicht für diese Diäten wurde mit 70 kg angenommen. Die Energieberechnung erfolgte mit 30 kcal/kg Körpergewicht pro Tag. Bei der Auswahl der Lebensmittel für die Menüs wurden folgende Kriterien zugrunde gelegt
- ein vollständiges Profil der essenziellen Aminosäuren war verfügbar
- es wurden nur Lebensmittel verwendet, die typischerweise in Amerika zu finden sind
- eiweißfreie Lebensmittel wurden nicht berücksichtigt
- durchschnittlich je 2 Portionen unbehandeltes Obst, Gemüse und Getreide und eine Portion Nüsse
- Berücksichtigung der für CKD erforderlichen Ernährungsbeschränkungen für Kalium, Phosphor und Kochsalz
Kurz und knapp – Pflanzenbasierte Ernährung für CKD
- Eine pflanzenbasierte, ballaststoffreiche Ernährung sorgt für eine intakte Darmbarriere.
- Gemüse und in geringerem Maße auch Obst haben alkalisierende Wirkungen, die das Fortschreiten der CKD verlangsamen und auch den Netto Proteinabbau verringern können.
- Pflanzliche Lebensmittel auf Getreidebasis können eine Säurebelastung darstellen (4-6).
- Getreide und Nüsse enthalten häufig große Mengen an Phytat, das durch Bindung an Phosphat die Phosphorabsorption im Darm verringern kann (7,8).
- Phosphor aus pflanzlichen Lebensmitteln und Hülsenfrüchten ist mit einer Bioverfügbarkeit von etwa 40 % in der Regel weniger gut verfügbar als organischer Phosphor aus tierischen Lebensmitteln und Lebensmitteln auf Milchbasis, dessen Bioverfügbarkeit auf etwa 40 bis 60 % geschätzt wird (9-13). Phosphorsalze, die Lebensmitteln häufig zugesetzt werden, haben eine noch höhere Bioverfügbarkeit.
- Die geringere Bioverfügbarkeit von Phosphor in pflanzlichen Lebensmitteln dürfte veganen und pflanzlichen Ernährungsformen einen gesundheitlichen Vorteil in Bezug auf Mineralstoff- und Knochenstörungen bei CKD verleihen.
Ergebnisse
Die Menge an Protein mit hoher biologischer Wertigkeit in den omnivoren und ovo-lakto-vegetarischen Diäten lag zwischen 63 % und 66 % und unterschied sich nicht zwischen den beiden Diäten. Alle 5 Ernährungsformen erreichten bei einem Proteingehalt von 0,5 g/kg/d nicht die täglich empfohlene Zufuhr für eine oder mehr der essenziellen Aminosäuren Histidin, Leucin, Lysin und Threonin. Ab einer Proteinzufuhr von 0,6 g/kg/Tag konnten die Empfehlungen für die essenziellen Aminosäuren je nach Diät erreicht werden:
- Omnivor 0,6 g/kg/Tag und mehr
- Ovolacto, LPL 0,7 g/kg/Tag und mehr
- HPL 0,8 g/kg/Tag
- Vegan mind. 0,8 g/kg/Tag
Bei der veganen Ernährung hingegen wurde die für die tägliche Zufuhr der essentiellen Aminosäuren erforderliche Proteinmenge erst nach mehrmaliger Umstellung des Speiseplans auf 0,8 g/kg/Tag erreicht. Und dies nur durch die Verwendung ausgewählter pflanzlicher Lebensmittel, die größere Mengen an Lysin und Methionin liefern. Die omnivore Diät lieferte den niedrigsten Gehalt an Kalium, Phosphor und Kalzium, während sowohl die ovolakto- vegetarische als auch die vegane Diät einen höheren Kalium- und Phosphorgehalt aufwiesen, wobei die ovo-lakto-vegetarische Diät die höchsten Kalziummengen lieferte. Es ist zu beachten, dass die vegane Diät Tofu, Reismilch und Sojamilch enthielt, die alle bei der Verarbeitung Kalzium zugesetzt bekamen. Der Natriumgehalt unterschied sich nicht zwischen den Diäten, außer dass die ovo-lakto-vegetarische Diät bei den höchsten Proteingehalten mehr Natrium enthielt.
Modellierung versus Alltag
Bei den pflanzlichen Lebensmitteln in der vorliegenden Studie handelte es sich in erster Linie um Obst und Gemüse und in geringerem Umfang um ganze Körner und Nüsse. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Natriumzufuhr bei allen drei Diäten mit ziemlicher Sicherheit höher ist als in den berechneten Menüs, da Kochsalz häufig während des Kochens oder am Esstisch zugesetzt wird und vorgefertigte Lebensmittel meist einen höheren Kochsalzanteil aufweisen. Ähnliches gilt auch für den Phosphorgehalt. Werden im Alltag vermehrt Fertigprodukte verzehrt, ist eine Einschätzung des Phosphorgehalts durch zum Einsatz kommende Phosphatzusätze erschwert. Die Autoren weisen darauf hin, dass der höhere Kalziumgehalt der veganen Ernährungsform auf die Aufnahme von Lebensmitteln zurückzuführen ist, denen bei der Verarbeitung Kalzium zugesetzt wurde.
Der hohe Kaliumgehalt der ovo-lakto-vegetarischen Diät ist auf den relativ hohen Kaliumgehalt von Milchprodukten zurückzuführen. Der niedrige Ballaststoffgehalt sowohl bei der ovo-lakto-vegetarischen Ernährung als auch bei der omnivoren Diät kann auf die geringeren Mengen an Vollkornprodukten und Gemüse zurückgeführt werden, die nicht in den Speiseplan aufgenommen wurden, weil sie zu viele Proteine liefern. Um die erforderliche Eiweißmenge durch Milchprodukte und Fleisch zu liefern, wurden Kohlenhydratquellen mit geringerem Eiweißgehalt gewählt.
Fazit
Die von Diätassistenten in dieser Modellstudie zubereiteten Diäten erforderten viel Zeit, Mühe und Erfahrung, um die Nährwerte, einschließlich des Gehalts an essenziellen Aminosäuren in diesen Diäten, zu maximieren. Es ist davon auszugehen, dass ein Patient, der angehalten wird, eine proteinarme pflanzenbasierte Diät durchzuführen, dieses ausgewogene Verhältnis verschiedener pflanzlicher und tierischer Lebensmittel im Alltag nicht umsetzen kann. Und wahrscheinlich bei einer geringeren Eiweißzufuhr (< 0,6 g/kg Körpergewicht) nicht alle erforderlichen essenziellen Aminosäuren mit dem Essen zu sich nimmt.
Quelle: Nierenarzt/Nierenärztin 5/2023
1. www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/230125_Trendreport_BZfE.html
2. Tallmann, et al. Nutritional Adequacy of Essential Nutrients in Low Protein Animal-Based and Plant-Based Diets in the United States for Chronic Kidney Disease Patients. Am J Ren Nutr. 2023,33:249-260 doi.org/10.1053/j.jrn.2022.10.007
3. Kalantar-Zadeh K, et al. Plant-dominant low-protein diet for conservative management of chronic kidney disease. Nutrients 2020;12:1931 10.3390/nu12071931
4. Hemler EC, Hu FB. Plant-based diets for personal, population, and planetary health. Adv Nutr. 2019;10(Suppl_4):S275-S283 doi.org/10.1093/advances/nmy117
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8. Moe SM, et al. Vegetarian compared with meat dietary protein source and phosphorus homeostasis in chronic kidney disease. Clin J Am Soc Nephrol. 2011;6:257-264
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10. Noori N, et al. Organic and inorganic dietary phosphorus and its management in chronic kidney disease. Iran J Kidney Dis. 2010;4:89-100
11. Stremke ER, Hill Gallant KM. Intestinal phosphorus absorption in chronic kidney disease. Nutrients. 2018;10:1364 doi.org/10.3390/nu10101364
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13. Kramer H, et al. Medical nutrition therapy for patients with nondialysisdependent chronic kidney disease: barriers and solutions. J Acad Nutr Diet. 2018;118:1958-1965 https://doi.org/10.1016/j.jand.2018.05.023
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 5/2023