Apotheker-Skandal: neue Indizien für Körperverletzung durch gepanschte Krebsmittel
Der Apotheker Peter S. soll in den Jahren 2012 bis 2016 in mehr als 60 000 Fällen Infusionen für Krebspatienten gepanscht bzw. teilweise gänzlich ohne Wirkstoff ausgeliefert und dafür von den Krankenkassen mehr als 50 Mio. Euro kassiert haben. Er steht wegen des Vorwurfs des Betruges, der Körperverletzung und Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz vor dem Essener Landgericht. Er verweigert jede Aussage.
Bisher war es kaum möglich, den Nachweis zu führen, dass die Machenschaften von S. nicht nur zu wirtschaftlichen, sondern auch zu gesundheitlichen Schäden geführt haben. Daher ist er in 27 Fällen wegen Körperverletzung angeklagt, bei denen die Staatsanwaltschaft nach einer Razzia in der Apotheke Beutel mit gepanschten Infusionen konkreten Patienten zuordnen konnte.
Licht ins Dunkel könnte jetzt eine Fallstudie der AOK Rheinland/Hamburg bringen. Medienberichten zufolge hat die Kasse 170 Krankheitsverläufe von Patienten untersucht, die mit Arzneien aus der Bottroper Apotheke behandelt wurden, und deren Daten mit denen von Patienten verglichen, deren Arzneien aus anderen Apotheken stammen. Die betrachteten Patienten litten an Brustkrebs, Leukämie und Lymphomen. In der Vergleichsgruppe befanden sich nach Angaben der Kasse 13 000 Patienten. Das Ergebnis: Sowohl Sterblichkeit und Rückfallrate waren bei Patienten der „Alten Apotheke“ deutlich höher.
Nicht mal jeder fünfte Patient ist noch am Leben
Von rechnerisch 100 Patienten der Bottroper Apotheke verstarben bislang 67,3 – in der Vergleichsgruppe dagegen nur 45,9 Patienten. Bezogen auf Zytostatika ist das Ergebnis noch deutlicher: Von den Patienten, die mit den mutmaßlich gepanschten Mitteln behandelt wurden, ist heute nicht mal jeder fünfte noch am Leben, in der Vergleichsgruppe lebt dagegen noch jeder zweite. Jede vierte Brustkrebspatientin, die von der Alten Apotheke versorgt wurde, erlitt einen Rückfall – in der Vergleichsgruppe war es jede fünfte Patientin. Eine AOK-Sprecherin bestätigte Medical Tribune, dass „erste interne Analysen unserer Daten Auffälligkeiten zeigen“. Durch Auswertungen, die auch Patientendaten anderer Kassen einschließen, könnte die Aussagekraft erhöht werden.
Genau das fordert eine Selbsthilfegruppe schon länger. Unterstützung bekommt sie inzwischen vom Gesundheitsamt Düsseldorf. Eine Fallkontroll- oder Kohortenstudie könnte belegen, ob alle Patienten, die mit Zytostatikazubereitungen aus der Alten Apotheke behandelt worden sind, im Therapieverlauf schlechter abschneiden als andere Patienten. Im Nachhinein lasse sich aber nicht feststellen, wer eine korrekte Therapie bekommen hat und wer nicht. Damit bleiben belieferte Patienten in der Ungewissheit über die Qualität ihrer Behandlung.