Hilfe beim Suizid Arzt wegen Sterbebegleitung verurteilt

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Ein Arzt wurde nun zu drei Jahre Haft wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft verurteilt. Ein Arzt wurde nun zu drei Jahre Haft wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft verurteilt. © LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com

Das Landgericht hat sein Urteil gesprochen: drei Jahre Haft für einen Arzt, der eine depressive Frau beim Sterben begleitete und ihr dafür Medikamente verfügbar machte. Der Mediziner hat Revision beim Bundesgerichtshof eingereicht. Das Thema ist komplex.  

Das Urteil der 40. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin I im Verfahren gegen Dr. Christoph Turowski lautete drei Jahre Haft wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft. Laut Gericht hatte der Arzt am 24. Juni 2021 einer 37-jährigen Frau Tabletten mit dem Wirkstoff Chloroquin zur Verfügung gestellt. Die Geschädigte wurde nach Nothilfeanforderung durch Dritte in ein Krankenhaus eingeliefert und dann in eine psychiatrische Klinik verlegt. Schon kurz nach Unterbringung nahm die Frau erneut Kontakt zum Arzt auf.

Am 12. Juli 2021 – unmittelbar nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie – legte Dr. Turowski laut Gerichtsangaben in einem angemieteten Hotelzimmer in Berlin-Lichterfelde eine Infusion mit einer tödlichen Dosis des Medikaments Thiopental. Ins Laufen brachte die Frau die Infusion durch Aufdrehen des Rädchens selbst. Sie starb binnen Minuten.

Seitens der immer wieder an einer Depression leidenden Geschädigten sei eine objektive Abwägung des Sterbewunsches krankheitsbedingt nicht mehr möglich gewesen, so die Auffassung der Kammer. Sie habe ständig zwischen dem Wunsch zu leben und dem Wunsch zu sterben hin und her geschwankt, auch noch am Morgen des Tattages. Binnen einer halben Stunde hätte sie ihre Meinung geändert. Damit sei deutlich geworden, so der Vorsitzende Richter, dass ihr Entschluss nicht – wie von der Rechtsprechung für ein freiverantwortliches Handeln vorausgesetzt – von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit getragen war. 

Das sagten die Verfassungsrichter dazu

a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.

c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

Quelle: BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 -, Rn. 1-343

Dr. Turowski habe außerdem unmittelbar Einfluss auf die Entscheidung der Patientin genommen. Er soll ihr wahrheitswidrig zugesagt haben, erforderlichenfalls auch über die Grenzen des Erlaubten hinaus nachzuhelfen, damit sie bei diesem zweiten Anlauf auch tatsächlich sterbe. Die Kammer ist damit von der besonderen Fallkonstellation ausgegangen, dass der Angeklagte nicht nur straflose Beihilfe zum Suizid geleistet hat, sondern als mittelbarer Täter die Geschädigte zu einem Werkzeug gegen sich selbst gemacht hat.

Mehr als 100 Menschen hat Dr. Turowski schon beim Suizidwunsch begleitet. 2015 musste er sich erstmals dafür juristisch rechtfertigen. Da ging es um eine verzweifelte Patientin, die seit 28 Jahre an einer sehr schmerzhaften Darmerkrankung litt, ohne Aussicht auf Besserung.

Arzt wollte „furchtbaren Gewaltsuizid“ verhindern

Die Patientin hatte erklärt, sie würde sich zum Suizid auf die Schienen der S-Bahn legen. „Ich war überzeugt, wenn ich ihr nicht helfe, führt sie das so aus, einen furchtbaren Gewaltsuizid“, berichtete der Sterbehelfer im Interview mit rbb-Hörfunk-Journalist Ulf Morling rückblickend. Das Verfahren endete schließlich mit einem Freispruch, weil die Frau aus Sicht der Richter „im medizinischen Sinne noch freiverantwortlich gehandelt“ hat. Sie sei in der Lage gewesen, das Für und Wider ihrer Suizidentscheidung hinreichend realitätsgerecht abzuwägen.

Im aktuellen Fall handelte es sich dagegen um eine unter einer Depression leidende Schwerkranke, der eine objektive Abwägung krankheitsbedingt nicht mehr möglich gewesen war. So zumindest sahen es die Richter. Frau R. sei ihm in allen Äußerungen und persönlichen Kontakten immer als entscheidungsfähiger Mensch entgegengetreten. Es habe deshalb keinerlei Zweifel von seiner Seite aus gegeben, argumentierte dagegen Dr. Turowski in einem schriftlichen Statement. Er verwies dabei auf den eminent wichtigen persönlichen Kontakt zur sterbewilligen Frau mit Erfassung ihrer Mimik, Gestik, Stimme, Modulation und Körperhaltung. Diese Informationen hätten am Tag des Suizidversuches und am Tag des vollendeten Suizids nur ihm zur Verfügung gestanden. Dr. Turowski ist ob des Urteils schwer enttäuscht. Er legte umgehend durch seinen Anwalt Revision beim Bundesgerichtshof ein. 

Einen vergleichbaren Fall gab es in Nordrhein-Westfalen. Das Urteil der XII. Strafkammer des Landgerichts Essen sprach Dr. Johann Spittler ebenfalls wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft schuldig, mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Der Neurologe und Psychiater sah bei einem Suizidwilligen die Freiverantwortlichkeit trotz Vorliegens psychischer Erkrankungen als gegeben an. Am 31. August 2020 legte er dem Mann einen venösen Zugang und hängte eine Infusion mit einer tödlich wirkenden Menge Thiophental an. Das Zuflussventil öffnete der Geschädigte selbst. 

Entscheidend in beiden Fällen ist die Frage, ob bzw. inwieweit das grundgesetzlich geregelte und 2020 auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Recht auf selbstbestimmtes und assistiertes Sterben auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen gilt. Im Essener Fall litt der Begleitete an einer akuten paranoiden Schizophrenie sowie einer mittelgradigen depressiven Episode. Sein Suizidwunsch beruhte laut Gericht wesentlich auf einer erkrankungsbedingten, nicht realistisch begründeten Annahme, es gebe keine Besserungsaussichten und er leide unter einer zunehmenden Sehstörung. 

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) Rechtsanwalt Prof. Dr. Robert  Roßbruch bemerkte angesichts der beiden aktuellen Fälle, es sei zu wünschen, dass die Gerichte die Suizidwünsche auch psychisch kranker Menschen stärker als bisher respektieren würden. Nicht jeder mit einer psychiatrischen Diagnose sei automatisch einsichts- und urteilsunfähig. 

Eine weitere gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid, wie von verschiedenen Seiten gefordert, hält der DGHS-Anwalt jedoch nicht für notwendig. „Wenn ein Arzt, der Suizidhilfe leisten möchte, sich an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hält, hat er keine strafrechtlichen Sanktionen zu befürchten“, sagt er.

Quellen:
1. Strafsache Dr. Johann Spittler: Aktenzeichen 32 Ks 5/23
2. Strafsache Dr. Christoph Turowski: Aktenzeichen 540 Ks 2/23