Ärztlich assistierter Suizid „Hand in Hand“ gemeinsam sterben
Man kann es nur vermuten: Einige derer, die von Hochhaus oder Brücke gesprungen sind oder sich auf ein Bahngleis gelegt haben, hätten vermutlich lieber eine andere, nicht so furchtbare Methode gewählt, um aus dem Leben zu scheiden – vielleicht auch ein Ende mit den Liebsten und/oder einem Arzt an der Seite. Dass Menschen in Deutschland nicht in jedem Fall auf einen ärztlich assistierten Tod zurückgreifen können, liegt an Ärzten, die nicht begleiten wollen, aber auch am Gesetzgeber.
Bundestagsabgeordnete über alle Fraktionen hinweg haben Probleme damit, eine menschenwürdige Selbsttötung ohne große Hürden zu unterstützen. Zu groß ist die Sorge, kommerzielle Assistenz könne eine Lawine an Suiziden ins Rollen bringen.
Beim Versuch, dem entgegenzuwirken, machen die Abgeordneten handwerkliche Fehler. 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht § 217 BGB zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe wegen dessen Nichtvereinbarkeit mit dem Grundgesetz.
Auch neue, fraktionsübergreifend entwickelte Gesetzentwürfe, zuletzt in einer gemeinsamen Initiative zusammengefasst, überzeugten im Juni die Mehrheit im Bundestag nicht. Zwar wollten die Abgeordneten Suizidwilligen den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten über Änderungen im Betäubungsmittelgesetz ermöglichen. Zugleich aber waren – außer in Ausnahmefällen – vorgesehen: eine umfangreiche Beratung über staatlich anerkannte Beratungsstellen, Warte- und Höchstfristen für Untersuchungs- und Beratungstermine sowie die Verschreibung des Medikaments. Eine strafrechtliche Lösung war ebenfalls angedacht. Auch in anderen europäischen Ländern wie in der Schweiz oder in den Niederlanden, argumentierte der CDU/CSU-Politiker Ansgar Heveling, würden Grenzen der Suizidhilfen im Strafrecht gesetzt.
Für Ärzte besteht bereits ein rechtlicher Handlungsrahmen
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Rechtsanwalt Robert Roßbruch, ist zufrieden mit der Ablehnung der Neuregelung, denn damit bleibe die zurzeit bestehende Rechtslage weiterhin gültig. „Eine erneute Gesetzgebung ist nicht zwingend erforderlich.“ Dies habe auch das Bundesverfassungsgericht so gesehen: Es habe den Gesetzgeber überhaupt nicht dazu verpflichtet, ein legislatives Schutzkonzept zu verabschieden.
Rossbruch ist überzeugt, dass für Ärzte, die beim freiverantwortlichen Suizid eines Patienten assistieren wollen, bereits ein klarer rechtlicher Handlungsrahmen besteht. Es gebe bei Verstößen genügend Möglichkeiten, strafrechtlich aktiv zu werden. Diverse Gerichtsverfahren bestätigten dies. Zu erinnern sei an einen Berliner Hausarzt, der seiner 44-jährigen, chronisch kranken Patientin 2013 beim Sterben half und 2018 freigesprochen wurde. Auch die DGHS ermöglicht den assistierten Suizid – transparent und überprüfbar, wie es heißt. So werde u.a. nach jeder Freitodbegleitung die zuständige Kriminalpolizei informiert, die ein förmliches Todesermittlungsverfahren einleite.
Die DGHS vermittelt unter bestimmten Voraussetzungen für Mitglieder eine ärztliche Freitodbegleitung. Ohne dass die suizidwillige Person einsichts- und entscheidungsfähig ist und freiverantwortlich handelt, liegt tatbestandsmäßig ein Totschlag gemäß § 212 StGB vor. Auch darauf verweist der DGHS-Präsident. Eine Petition „Legale Freitodhilfe“, gestartet 2022 von der DGHS, hatten knapp 16.500 Menschen unterzeichnet.
Wie selbstbestimmtes Sterben ablaufen kann, wurde in der Sendung „Die Weber“ auf Radioeins (Rundfunk Berlin-Brandenburg) deutlich. Hier berichtete eine Frau: „Meine Eltern, beide über 80, hatten nur noch einen letzten Wunsch, sie wollten gemeinsam in ihrer Wohnung, in ihrem Bett, Hand in Hand einschlafen.“
Suizidarten in Deutschland
Laut Statistischem Bundesamt starben 2021 in Deutschland insgesamt 9.215 Personen durch Suizid, also etwa 25 Personen pro Tag. Rund 75 % der Selbsttötungen wurden von Männern begangen. Die am häufigsten gewählte Suizid-methode war sowohl bei Frauen als auch bei Männern Erhängen, Strangulieren oder Ersticken. Die Datenbank Statista nennt mehr. Demnach steht an zweiter Stelle der Sturz in die Tiefe und an dritter Stelle der Suizid durch Arzneimittel. Ebenso gewählt wird – wenn auch seltener – ein Suizid durch Feuerwaffe, Ertrinken, Überfahrenlassen oder den absichtlich herbeigeführten Autounfall.
Die Mutter hatte vor Jahren einen schweren Schlaganfall erlitten und war seitdem auf einen Rollstuhl und Hilfe angewiesen. Auch der Vater wurde immer gebrechlicher. Den Wunsch der Eltern, gemeinsam aus dem Leben scheiden zu wollen, habe sie zuerst nicht ernst genommen, sagt die Tochter. „Und dann haben sie vor drei Jahren beide weinend dagesessen und gesagt, ich solle Ihnen helfen.“ Also habe sie angefangen zu recherchieren, wo assistierter Freitod in Deutschland möglich sei.
„Haben Sie in diesem Wunsch die Furcht Ihrer Eltern gespürt, dass vielleicht Sie als Tochter oder wir alle als Gesellschaft die beiden nicht gut pflegen werden können?“, fragte Moderatorin Anja Weber nach. Nein, wird entgegnet. Sie habe diesbezüglich auch mehrmals nachgefragt.
Eltern haben sich ein halbes Jahr lang verabschiedet
Als die Eltern erfuhren, dass die DGHS Freitodbegleitungen vermittelt, entschied sich das Paar für diese Lösung. Zuerst, so erzählte die Tochter, habe sie versucht, über den Hausarzt Hilfe zu erhalten: „Der war sehr offen, aber hat ganz klar gesagt: Er kann das nicht.“
Die Eltern haben schließlich eine Mitgliedschaft bei der DGHS beantragt, denn vor der Sterbebegleitung muss man sechs Monate Mitglied sein im Verein. Auch das Prozedere der Sterbebegleitung ist klar geregelt: Sind die Sicherheitskriterien offensichtlich erfüllt, erfolgt eine Vermittlung an Freitodbegleitern, die mit der DGHS kooperieren. Ein Jurist führt dann ein Erstgespräch. Kurz vor der Freitodbegleitung, in aller Regel am Vortag, führt der begleitende Arzt das Zweitgespräch.
Erst- und Zweitgespräch dienten der erneuten Abklärung der Freiverantwortlichkeit und Wohlerwogenheit des Freitodwunsches, erklärt die DGHS. Erst, wenn dieser durchgängig gegeben sei, könne die ärztliche Freitodbegleitung stattfinden. Der Jurist begleite dann als Zeuge. Nach dem Tod der Person würden die Behörden informiert und alle notwendigen Unterlagen übergeben.
Die DGHS verweist darauf, dass Natriumpentobarbital (NaP) nach wie vor gesetzlich für den Zweck der ärztlich assistierten Selbsttötung in Deutschland nicht zugelassen ist. Die Ärzte würden daher ein anderes, vergleichbar sicher wirkendes Medikament einsetzen.
Und wie geht es Ihnen heute?, fragte die Moderatorin die Tochter. „Mir geht es gut, weil ich war dabei“, antwortete diese. Die Eltern hätten sich diesen Tod wirklich gewünscht. Sie hätten Freunde, Nachbarn, Bekannte informiert und sich ein halbes Jahr lang verabschiedet.
Die Tochter brachte den Begriff „lebenssatt“ ins Gespräch. Die Eltern seien gesellige und aktive Menschen gewesen, sagt sie, das hätten sie zuletzt nicht mehr sein können. „Für solche Menschen finde ich das eine Option.“ Manche Menschen entschieden sich, am Lebensende in ein Heim zu gehen. Ihre Eltern hätten es in der eigenen Wohnung körperlich auch bald nicht mehr geschafft. Das sei ihre größte Sorge gewesen und deshalb hätten sie in ihrer Wohnung, in ihrem Bett, Hand in Hand sterben wollen.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht
Befinden Sie sich derzeit selbst in einer schwierigen Lage? Expert:innen können Ihnen helfen, diese Zeit zu überstehen. Hier finden Sie eine Auswahl von Anlaufstellen »