Praxiskolumne Bei meinem Vorgänger war alles besser

Kolumnen Autor: Dr. Cornelia Werner

Die Ansprüche sind hoch. Zu hoch für dieses fragile System. Die Ansprüche sind hoch. Zu hoch für dieses fragile System. © sepy - stock.adobe.com

Je knapper das Personal, desto weniger Patientinnen und Patienten lassen sich adäquat versorgen. Und was, wenn das Personal schrumpft, die Patientenzahl aber bleibt? Das erlebe ich gerade seit drei Quartalen.

„Ihr seid nicht erreichbar!“, heißt es jetzt. Oder: „Ihr drückt mich einfach weg!“ Nein, das tun die MFA definitiv nicht. Aber ab einer gewissen Menge an Anrufen – und das können an einem Vormittag schon mal 500 sein – muss unsere Telefonanlage die weiße Fahne hissen. Und außerdem: Zum Telefonieren braucht man Personal.

Jetzt versuchen wir das Problem mit KI aufzufangen. Wir haben zwar schon lange eine hervorragende Online-Rezeption und sind auch gut per Mail erreichbar. Aber der Schwabe an sich telefoniert nun mal gerne. Und das ist auch aus ganz unerwarteter Sicht ein Problem. Denn „Eure Schnepfe“, also die KI-Dame, wurde in Niederbayern programmiert. Und erstaunlicherweise ist das Sprachverständnis doch sehr unterschiedlich. Da kommt der 40-Jährige und beschwert sich, dass man mit der KI nicht kommunizieren könne. Der 80-Jährige mit schwerem Dialekt dagegen schafft es ohne Probleme. 

Die Abarbeitung der Nachrichten läuft auf jeden Fall super. Auch wenn manche Tonspur nicht transkribiert werden kann und extra abgehört werden muss. Das ist dann oftmals sehr aufschlussreich, was den Umgang mit Künstlicher Intelligenz betrifft. Es wird temperamentvoll geflucht und „die Dame“ wild beschimpft. Wir schmunzeln. Diese Aggressionen entladen sich nicht an uns. Aus unserer Sicht ist das ein voller Gewinn. Für die Patientinnen und Patienten „ein Glump“.

Gleichermaßen Empörung löste aus, dass wir die fixen Sprechstundenzeiten gekürzt haben. Ein paar Mal habe ich auch alleine mit der Azubi gearbeitet – empfehlenswert ist das nicht. Aber wir geben alles. Meine MFA greifen von daheim aufs System zu, um nach- oder vorzuarbeiten. Aber das sieht ja niemand.  „Ihr habt ja nie offen! Beim Vorgänger ging das doch auch.“ 

Ja, beim Vorgänger waren die Zeiten anders, die Personaldecke dicker und die Patientenzahl deutlich kleiner. Damals wurden sogar einzelne Patientinnen oder Patienten von der MFA schnell mal mit dem Auto nach Hause gefahren. Inzwischen unvorstellbar. Aber die Erwartungen an uns sind geblieben. 

Tatsächlich bekomme ich zunehmend das Feedback von vertretenden Kolleginnen und Kollegen, dass unsere Patientinnen und Patienten als fordernd empfunden werden. Termine gleich und sofort. Hausbesuch jetzt. Unser Gefühl scheint nicht zu trügen: Die Ansprüche sind hoch. Zu hoch für dieses fragile System.

Tatsächlich haben wir schon aktiv ausgeschrieben, dass die Patientinnen und Patienten doch bitte versuchen sollen, in einer anderen Hausarztpraxis unterzukommen. Es gibt auch noch aufnehmende Praxen in erreichbarer Nähe. Aber leider tut sich da nicht viel. Ja, tatsächlich leider! Denn auch für uns ist das eine untragbare Situation. 1.300-1.400 Scheine durchzujagen, mit einer statt drei Ärztinnen und der halben MFA-Besetzung. Abgesehen von dem ständigen Gemecker, das wir abbekommen – es fühlt sich an wie Übernahmeverschulden: Mal rutscht was durch, dann bekommt eine Pneumonie erst in vier Tagen einen Termin. 

Ich muss aufpassen wie verrückt, die Fehlerquellen multiplizieren sich. Was ich sonst selbst mache, muss ich weiterüberweisen, und weiß doch, dass jemand dadurch verzögert diagnostiziert wird. Das ist keine gute Medizin. Das ist nicht mein Standard

Wir müssen damit weiter an die Öffentlichkeit gehen. Scheinbar versteht die Bevölkerung nicht: Das ist ihre Gesundheit, die auf dem Spiel steht. Das vielleicht mal beste Gesundheitssystem der Welt ist zum Pflegefall geworden. In diesem Sinne: Auf ein weiteres Quartal. Mögen keine neuen Hürden mehr dazukommen.

Ihre

Dr. Cornelia Werner