Telefonieren reicht nicht – direkten Arzt-Patienten-Kontakt in der Praxis und per Video ausschöpfen

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Ausschließlich telefonischer Kontakt genügt nicht, um die Regelleistungsvolumina auszuschöpfen. Ausschließlich telefonischer Kontakt genügt nicht, um die Regelleistungsvolumina auszuschöpfen. © megaflopp – stock.adobe.com

Angesichts der Belastungen durch die Coronapandemie wird in den Praxen die Anhebung des Orientierungspunktwerts um 1,25 % als zu gering angesehen. Doch auch die anderen Parameter der Gesamtvergütung sind bei der Leistungserbringung und Abrechnung zu beachten.

Nach § 87 Absatz 2g SGB V sind bei der jährlichen Anpassung des Orientierungspunktwerts (OPW) insbesondere die Entwicklung der für Arztpraxen relevanten Investitions- und Betriebskosten, Möglichkeiten zum Ausschöpfen von Wirtschaftlichkeitsreserven sowie die Kostendegression bei Fallzahlsteigerungen zu berücksichtigen. Eine Pandemie ist hier nicht vorgesehen.

Dafür hat die KBV selbst gesorgt, als sie 2018 akzeptierte, dass vom Institut des Bewertungsausschusses (InBA) für die OPW-Festlegung ein Verfahren zur Berechnung der Veränderungsrate der technischen Leistungen entwickelt wurde. Das ist der KBV 2021 zum Verhängnis geworden. Der Erweiterte Bewertungsausschuss hat auf Grundlage des datengestützten InBA-Verfahrens die Anhebung um 1,25 % beschlossen. Nach dem vereinbarten Berechnungsmodell konnte er nicht anders entscheiden. Die Empörung der KBV erscheint somit eher gespielt.

Zuschläge wegen Demografie- und Morbiditätsentwicklung

Der Anstieg des OPW auf 11,1244 Cent führt zu einer entsprechenden Anhebung der Eurowerte bei den einzelnen EBM-Leistungen im budgetierten wie extrabudgetären Bereich und bewirkt bundesweit eine Erhöhung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) um etwa 500 Millionen Euro.

Der OPW ist aber nur ein Aspekt der Honorarentwicklung. Berücksichtigen muss man auch: In allen KV-Regionen außer Berlin, Bremen und Hamburg legen die Veränderungsdaten bei der Altersentwicklung der Patienten (Demografie) und der Qualität der ICD-10-Kodierung (Morbidität) gegenüber 2020 zu. Dies führt zu einem weiteren MGV-Zuwachs. Der fließt allerdings nicht in die Eurowerte der EBM-Leistungen, sondern in die Budgets, insbesondere die Regelleistungsvolumina (RLV).

Angesichts des hohen Budgetierungsgrades im hausärztlichen Bereich ist dort allerdings die Gefahr einer praxisindividuellen RLV-Unterschreitung besonders groß. Die wichtigsten haus­ärztlichen Leistungen stecken in der Versichertenpauschale, der Grundpauschale nach Nr. 03040 EBM und ggf. noch in den Chronikerleistungen nach den Nrn. 03220/03221. Fürs Ausschöpfen des RLV kommen allenfalls noch Einzelleistungen wie die Nr. 03230 in Betracht. Hier ist jedoch die Ansatzhäufigkeit durch ein internes Budget von 128 Punkten begrenzt.

Da auch Leistungen, die jenseits der Budgetgrenze erbracht werden, zu einem quotierten Wert vergütet werden, wird es im nächsten Jahr wichtig sein, wirklich alle erbrachten Leistungen konsequent abzurechnen. Die Zeitvorgaben von 12 Stunden/Tag und 780 Stunden im Quartal sollte man natürlich beachten, um nicht in eine Plausibilitätsprüfung nach Zeitvorgaben zu geraten.

Ein finanzieller Ausgleich für die Auswirkungen der Pandemie auf das Honorar 2021 ist an anderer Stelle im SGB V geregelt, nämlich im § 87a Abs. 3 Satz 4: beim „nicht vorhersehbaren Anstieg des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs“. Das scheint die KBV verdrängt zu haben.

Dabei hatte man sich schon früh im Bewertungsausschuss mit den Kassen darauf geeinigt, dass bei einem gehäuften Aufkommen von Erkrankungen wie Sepsis/Schock, entzündlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems, Tuberkulose, opportunistischen Infektionen, anderen Infektionskrankheiten, Pneumokokkenpneumonien, Empyem, Lungenabszess, viralen und nicht näher bezeichneten Pneumonien, Pleuritis, akute Bronchitis und Grippe von einem solchen nicht vorhersehbaren Anstieg des Behandlungsbedarfs auszugehen ist.

Die Kassen haben sich für 2020 bereit erklärt, in der Coronapandemie einen solchen Anstieg anzuerkennen. Vertragsärztliche Leistungen, die 2020 mit der Kennziffer 88240 (klinischer Verdacht auf eine Infektion oder eine nachgewiesene Infektion mit SARS-CoV-2) gekennzeichnet sind, werden deshalb extrabudgetär vergütet.

Nr. 88240 bei begründetem klinischem Verdacht

Da durch die Pandemie auch Fallzahlrückgänge zu verzeichnen sind, hat der Gesetzgeber außerdem die Kassen verpflichtet, entsprechende Verluste bis zu 90 % auszugleichen (sog. Schutzschirm). Das klingt gut, wurde in der Sitzung des Erweiterten Bewertungsausschusses am 15. September 2020 aber verwässert.

Dort wurde nämlich mit den Stimmen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entschieden, dass diese extrabudgetären Zahlungen der Kassen mit einer ggf. wegen des Fallzahlrückgangs verbundenen Unterschreitung der MGV 2020 verrechnet werden können. Hier hat sich die KBV ohne Gegenwehr auf eine Regelung eingelassen, die das Honorarergebnis 2021 im Zusammenwirken mit den zuvor genannten Elementen negativ beeinflussen dürfte. Für das erste bis dritte Quartal 2020 soll es zwar zu keiner Verrechnung kommen, wohl aber ab dem vierten Quartal.

Darüber hinaus sollen die Kriterien für die Nr. 88240 deutlich verschärft werden. Ihr Ansatz ist dann nur noch bei begründetem klinischem Verdacht gestattet. Es müssen sog. COVID-19-typische Symptome wie akute respiratorische Insuffizienz, der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn oder klinische oder radiologische Hinweise auf eine virale Pneumonie vorhanden sein. Wie dies in der Praxis verifiziert werden soll, ist offen.

Die Vergütung dieser gekennzeichneten Leistungen erfolgt ab Oktober 2020 weiter mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung außerhalb der MGV, aber unter dem Vorbehalt einer späteren Verrechnung mit einer Unterschreitung der MGV 2020. Ab 2021 geht das zwar so weiter, das extrabudgetäre Honorar kommt dann aber aus der MGV, sodass eine Verrechnung bei deren Unterschreitung automatisch erfolgt.

Fazit

Die ab 2021 um 1,25 % höhere Bewertung der EBM-Leistungen ist nur im extrabudgetären Bereich sicher. Man sollte deshalb in der Praxis streng darauf achten, dass die extrabudgetären Honorarelemente – insbesondere Vorsorgeleistungen – durchgeführt werden.

Extrabudgetär werden aber auch alle Leistungen vergütet, die mit der Kennziffer 88240 markiert wurden. Das ist zunächst scheinbar positiv, geht aber dem RLV verloren. Bei den übrigen Patienten, die nicht mit der Nr. 88240 gekennzeichnet wurden, darf man deshalb erbrachte Leistungen nicht unter den Tisch fallen lassen, da ansonsten die Gefahr einer Unterschreitung des RLV droht. Auch in Pandemiezeiten sollte deshalb unter Beachtung des Hygienestandards der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt in der Praxis oder wenigstens per Videosprechstunde bevorzugt werden.

Alleinige telefonische Kontakte mit dem Patienten sollte man vermeiden. Hier kann nur die Nr. 01435 EBM mit einem aktuellen Wert von 9,67 Euro einmalig im Behandlungsfall berechnet werden. Ein Ausschöpfen des RLV ist so nicht möglich. Trotz extrabudgetärer Vergütung bei „Corona-Patienten“ kann so die Honorarentwicklung ab Q1/2021 sogar hinter der Steigerung des Orientierungspunktwertes von 1,25 % zurückbleiben. Ein Ausgleich über den Schutzschirm ist nicht möglich, da hier nur Fallzahlverluste berücksichtigt werden dürfen.

Medical-Tribune-Bericht